Kap. 4. Welch unendliche Geduld beweist Gott gegenüber den sündigen Menschen, indem er trotz des krassesten Götzendienstes seine Wohltaten allen gleichmäßig zukommen läßt und den Tag des Gerichts hinausschiebt, um ja noch allen eine Bekehrung zu ermöglichen.
Welch große und erhabene Geduld aber zeigt Gott, indem er die von den Menschen zur Schändung seiner Herrlichkeit und Ehre errichteten heidnischen Tempel, ihre aus Erde geformten Bildwerke und ihre gottlosen Opfer mit der größten Geduld erträgt und dennoch über Gute und Böse in gleicher Weise Tag werden und das Licht der Sonne aufgehen läßt, und wenn er die Länder mit Regen tränkt, keinen von seinen Wohltaten ausschließt, sondern den Gerechten ebenso wie den Ungerechten ohne jeden Unterschied sein Naß spendet!1 Wir sehen, wie mit unzertrennlicher, gleichmäßiger Geduld Schuldigen und Unschuldigen, Frommen und Gottlosen, Dankbaren und Undankbaren auf Gottes Wink die Jahreszeiten gefügig sind, die Elemente dienen, die Winde wehen, die Quellen strömen, wie die Fülle der Ernten gedeiht, der Ertrag der Weingärten heranreift, die Baumpflanzungen Obst in Fülle hervorbringen, wie die Wälder sich belauben und die Wiesen blühen. Und obwohl Gott durch häufige, ja durch fortwährende Kränkungen erbittert wird, beherrscht er dennoch seinen Unmut und wartet geduldig den einmal vorausbestimmten Tag der Vergeltung ab, S. 293 und obgleich er die Rache in seiner Gewalt hat, will er doch lieber noch längere Zeit Geduld üben, indem er eben voll Milde [die Kränkungen] hinnimmt und [die Rache] hinausschiebt, damit womöglich die lange fortgesetzte Bosheit sich endlich doch noch ändere und der Mensch, nachdem er sich in dem befleckenden Schmutze des Irrtums und der Verbrechen gewälzt, wenn auch spät erst, sich zu Gott bekehre, der ja selbst mahnt und sagt: „Ich will nicht so sehr den Tod des Sterbenden als vielmehr, daß er sich bekehre und lebe“2 [Und wiederum: „Kehret zurück zu mir, sagt der Herr“3 .] Und abermals: „Kehret zurück zu dem Herrn, eurem Gott; denn er ist barmherzig und gütig und geduldig und von großem Erbarmen, und er ändert sein Urteil gegenüber verhängten Heimsuchungen“4 . Indem dies auch der selige Apostel Paulus in Erinnerung bringt und den Sünder zur Buße ruft, äußert und sagt er: „Oder verachtest du etwa den Reichtum seiner Güte und seine Langmut und Geduld und weißt nicht, daß die Geduld und Güte Gottes dich zur Buße hinführt? Du aber nach deiner Härte und deinem unbußferligen Herzen häufest dir den Zorn am Tage des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der vergelten wird einem jeden nach seinen Werken“5 . Gerecht, sagte er, sei das Gericht Gottes, weil es spät erst kommt, weil es lange und weit hinausgeschoben wird, damit dem Menschen durch die langmütige Geduld Gottes zum Leben verholfen werde. Dann erst wird die Strafe an dem Gottlosen und Sünder vollzogen, wenn die Reue über die Sünde nichts mehr nützen kann.
