16, Die Laster Karthagos
Um zunächst von der Unsittlichkeit zu reden: Wer weiß nicht, daß ganz Afrika immer in schmutzig düsteren S. 239 Fackeln der Lust gebrannt hat? Daß man es nicht für ein Land und einen Wohnort von Menschen, sondern für einen Ätna unreiner Flammen hätte halten können? Denn wie der Ätna in seinem Inneren in der Glut seiner feurigen Natur brennt, so glühte auch jenes fortwährend im Feuer abscheulicher Unzucht. Ich will gar nicht, daß man in diesem Punkt meinen Behauptungen glaube, ich rufe das Zeugnis des Menschengeschlechts an. Wer weiß nicht, daß überhaupt alle Afrikaner ganz allgemein unkeusch sind, außer etwa die zu Gott bekehrten, das heißt solche, die ein gläubiges, gottgeweihtes Leben begonnen haben? Aber das ist so selten und unerhört, wie es selten erscheinen kann, daß irgendein Gaius nicht mehr Gaius oder irgendein Seius nicht mehr Seius ist. So ungewohnt und unerhört ist es, daß ein Afrikaner nicht unsittlich ist, als es neu und unerhört ist, daß ein Afrikaner kein Afrikaner ist. So allgemein nämlich ist bei ihnen die Sünde der Unkeuschheit, daß jeder von ihnen, der aufhörte, schamlos zu sein, nicht mehr als Afrikaner gelten würde. Ich will nicht die einzelnen Orte durchgehen oder über die einzelnen Städte sprechen, damit es nicht scheine, als suchte und forschte ich mit Einseitigkeit nach dem, was ich sagen möchte. Ich begnüge mich nur mit einer von allen dortigen Städten, ihrer Führerin und gewissermaßen ihrer Mutter. Jene lag auch immer im Wettstreit mit der Hochburg Rom, einst in Waffentaten und Tapferkeit, dann in Glanz und Würde. Karthago meine ich, die hauptsächlichste Gegnerin der Stadt Rom und auf afrikanischem Gebiet soviel wie Rom. Daher genügt es allein mir als Beispiel und zum Zeugnis, weil es beinahe alles in sich geschlossen hat, wodurch auf der ganzen Welt ein geordnetes Staatsleben verwaltet und geleitet wird. Dort waren nämlich alle Anstalten für öffentliche Ämter, dort die Schule für die freien Künste, dort die Hörsäle der Philosophen und endlich alle Übungsstätten für Sprachstudium und Lebensführung; dort lagen auch Truppenkörper und mächtige Ge- S. 340 nerale; dort war ein Sitz der Prokonsularwürde, dort ein ständiger Richter und Befehlshaber, dem Namen nach ein Prokonsul, der Macht nach aber ein Konsul; dort waren endlich alle Verwaltungsämter und der Sitz von Würden, die sich sowohl dem Grad als auch der Bezeichnung nach unterschieden; die Aufsichtsbehörden über alle Straßen und Wege, die fast alle Gegenden der Stadt und alle Teile des Volkes unter ihrer Leitung hatten. Mit diesem Karthago also begnügen wir uns als Beispiel und zum Zeugnis für die übrigen, um nämlich zu erkennen, wie jene Städte waren, die weniger Einrichtungen für eine rechtschaffene Verwaltung hatten, wenn wir sehen, wie es in der aussieht, wo immer die höchsten Staatslenker waren. An dieser Stelle bin ich nahe daran, mein Versprechen zu bereuen, das ich weiter oben gegeben habe, daß ich nämlich alle Verbrechen der Afrikaner übergehen und nur von ihrer Unkeuschheit und Gotteslästerung reden will. Ich sehe nämlich eine Stadt, in der es von Lastern wimmelt; ich sehe eine Stadt, die von Schlechtigkeit aller Art bis zum Sieden erhitzt ist, voll von Menschenscharen, aber noch voller von Menschenschande; voll von Reichtum, aber noch voller von Lastern; die Bewohner übertreffen einander an Ruchlosigkeit ihrer Schandtaten; die einen wetteifern in Raubgier, die andern in Unreinheit; die einen sind von Weingenuß erschlafft, die anderen vollgefressen und aufgedunsen; diese mit Kränzen umwunden, jene mit Salben beschmiert, alle durch alle möglichen Ausschweifungen entkräftet und verdorben und fast alle durch einen Sündentod niedergeworfen; zwar nicht alle betrunken mit Wein, aber alle trunken von der Sünde. Man könnte glauben, die ganze Volksmasse sei außer Rand und Band, sei nicht bei Sinnen, sei im Kopf nicht in Ordnung, nicht fest auf den Füßen und falle wie Rotten betrunkener Zecher haufenweise übereinander her. 1Wie S. 241 schwer sündhaft ist aber erst das Folgende, der Art nach zwar verschieden, aber an Ruchlosigkeit gleich, außer es ist darin verschieden, daß es noch ärger ist. Ich meine die Beraubung der Waisen, die Bedrückung der Witwen, die Mißhandlung der Armen. Diese seufzen täglich zu Gott und flehen um ein Ende des Unglücks und, was das Allerschwerste ist, unter dem Druck bitterer Not rufen sie bisweilen nach der Ankunft der Feinde; und manchmal haben sie es von Gott erreicht, daß sie endlich die Verheerungen von seiten der Barbaren mit allen gemeinsam ertragen konnten, die sie vorher von seiten der Römer allein ertragen mußten,
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Wir übernehmen hier die wohl richtige Lesung von Pauly: in se ruentes; die Überlieferung ist zwiespältig und unklar. ↩