20. Die Vandalen haben sich nicht mit widernatürlichen Lastern befleckt
Weil der Schmerz mich drängt, frage ich ein zweites Mal die, die mir zürnen, in welchen barbarischen Volksstämmen solches jemals geschehen ist oder wo es ohne öffentliche Strafe geschehen dürfte. Aber, um nicht allzulange über diesen Punkt im unklaren sein oder ihn untersuchen zu müssen, wollen wir die Eroberer Afrikas selbst mit den Völkern Afrikas vergleichen! Laßt uns sehen, was Ähnliches von den Vandalen gemacht worden ist! Und gewiß: die Barbaren sind durch ihre Erhebung aufgeblasen, stolz auf ihren Sieg, ausgelassen durch die Fülle ihrer Reichtümer und Ergötzungen; und sicher: auch wenn sie immer enthaltsam und züchtig gewesen wären, so hätten sie sich doch infolge einer solchen Fülle glückhafter Ereignisse ändern können; hatten sie ja doch, wie in den heiligen Schriften geschrieben steht, 1ein fruchtbares, von Milch und Honig S. 247 fließendes Land betreten, ein Land, welches sozusagen übervoll war von einer Menge aller Freuden. Dort wäre es keineswegs merkwürdig gewesen, wenn ein barbarisches Volk in Schwelgerei verfallen wäre, wo sogar die Natur selbst gleichsam in allem Reichtum schwelgt. Wer möchte nicht annehmen, daß die Vandalen, nachdem sie diese Gegenden betreten hatten, im Sumpf der Laster und Unreinheiten untergegangen wären oder daß sie, um mich möglichst gelinde auszudrücken, wenigstens das getan hätten, was die Afrikaner ständig getan hatten, in deren Rechte sie eingetreten waren? Und sicher hätte man sie für sehr enthaltsam und maßvoll halten müssen, wenn nur das eingetreten wäre, daß das Glück selbst sie nicht verderbter gemacht hätte. Denn wie wenige Weise gibt es, die das Glück nicht ändert, deren Lasterhaftigkeit nicht mit der Gunst ihres Schicksals wächst? Und deshalb ist es sicher, daß die Vandalen überaus maßvoll gewesen sind, wenn sie als Sieger ebenso blieben, wie sie als Gefangene und Unterjochte gewesen waren. Es ist also in einer solchen Überfülle von Reichtum und in solchem Luxus 2keiner von ihnen verweichlicht worden. Erscheint das geringfügig? Freilich waren doch auch die Römer für gewöhnlich dadurch in aller Welt bekannt. Aber was soll ich noch hinzufügen? Es gab keinen, der sich mit der Unkeuschheit der dortigen römischen Weichlinge befleckt hätte. Freilich das wurde bei den Römern schon seit langem so eingeschätzt, daß man es eher für eine Tugend als für ein Laster hielt, und jene sich eine größere männliche Kraft zuschrieben, die die meisten Männer durch S. 248 widernatürlichen Verkehr geschwächt hatten. So kam es ja auch, daß einst Marketender den Heeren römischer Jünglinge folgten und ihnen für ihre Verdienste auf den Kriegszügen dies sozusagen als Entlohnung ihrer Leistungen zuerkannt wurde, daß sie, weil sie tapfere Männer gewesen waren, Männer in Weiber verwandeln durften, O der Schande! Und das waren Römer; noch mehr sage ich, das waren Römer nicht aus unserer Zeit; aber doch, um nicht die Alten anzuklagen: es waren Römer, aber keine aus ganz alter Zeit, sondern natürlich schon verdorben, schon ausschweifend, bereits sich und den Ihren unähnlich, und mehr Griechen ähnlich als Römern, so daß, wie wir schon oft gesagt haben, es keineswegs wunderbar ist, wenn der römische Staat einmal erleidet, was er schon lange verdient.
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1 Exod. 13, 5. ↩
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Die Haupthandschriften haben: in tanta affluentia rerum atque luxurias. Pauly möchte herstellen: in tanta .... luxuria si nltlus eorum moilis effectus est, numquid parum videtur? Er erhebt so den Fragesatz zum übergeordneten Satz. Dagegen möchte C. Brakman a. a. 0. S, 172 den Akkusativ luxurias neben dem Ablativ affluentia von dem vorausgehenden "in" abhängen lassen, freilich nicht mit ganz durchschlagenden Gründen ↩