21. Die Vandalen bekämpfen die Unsittlichkeit, indem sie im Gegensatz zu den Römern ihre eigenen Gesetze befolgen
Diese Unkeuschheit also fing vor dem Evangelium Christi bei den Römern zu herrschen an und hat, was noch schlimmer ist, auch nach dem Evangelium nicht aufgehört, Und wer bewundert nach all dem nicht die Völkerscharen der Vandalen? Nachdem sie die reichsten Städte betreten hatten, wo diese Dinge allenthalben getrieben wurden, haben sie sich die Vergnügungen verdorbener Menschen auf die Art zu eigen gemacht, daß sie die verdorbenen Sitten von sich wiesen und nun im Genuß all des Guten sind, indem sie die Befleckung mit dem Bösen vermieden. Solche Lobsprüche für diese könnten genügen, auch wenn ich nichts weiter mehr sagte: sie haben die Unkeuschheit unter Männern verabscheut; ich füge noch mehr hinzu: auch die Unzucht mit Frauen haben sie verabscheut. Sie flohen Lasterhäuser und Bordelle, sie flohen Beischlaf und Berührung mit Dirnen. Kann das irgendwem glaublich er- S. 249 scheinen, daß die Römer das zugelassen, die Barbaren aber es verabscheut haben? Oder kann man dem Gesagten noch etwas hinzufügen? Ja, man kann es, und es ist etwas viel Wichtigeres. Denn es ist zu wenig, wenn wir gesagt haben, daß sie häßliche Dinge gemieden haben, es kann jemand unehrbare Dinge verabscheuen und sie doch nicht abschaffen; ein großes und einzig dastehendes Verdienst aber ist es, wenn man sich nicht nur selbst durch den Schmutz nicht beflecken läßt, sondern auch noch dafür Sorge trägt, daß andere niemals sich beflecken. Denn der ist in gewissem Sinne Fürsorger für das Heil der Menschen, der sich nicht nur bemüht, selbst gut zu sein, sondern auch zu erreichen sucht, daß andere vom Bösen abstehen. Großartig ist das, in der Tat, was wir sagen, großartig und erhaben! Wer könnte glauben, daß die Vandalen in römischen Städten das getan haben? Jede unlautere Fleischeslust liegt ihnen nämlich fern. Aber wie fern? Nicht wie die Römer von solchen Dingen abzurücken pflegen, die festsetzen, man dürfe nicht stehlen, und stehlen doch, die gebieten, man dürfe nicht ehebrechen, und brechen die Ehe als die ersten. Allerdings könnte man es kaum stehlen nennen; denn, was sie betreiben, das ist nicht Diebstahl, sondern Raub. Es bestraft nämlich der Richter bei anderen den Unterschleif, obwohl er selbst Unterschleif betreibt; er bestraft den Raub und ist doch selbst ein Räuber; er bestraft den Meuchelmord und ist selbst ein Mörder; er straft das Aufbrechen von Schlössern und Türen, obwohl er selber Städte verwüstet; die Plünderung der Häuser straft er und plündert dabei selbst Provinzen aus. Und wenn das nur jene täten, die eine Amtsgewalt inne haben, und denen ihre Ehrenstelle das Recht gibt, Raub auszuüben! Ärger und unerträglicher ist es, daß das auch Privatleute tun, die früher die gleichen Ehrenstellen innegehabt haben. Das einmal verwaltete Amt gestattet es ihnen noch, immer das räuberische Faustrecht zu handhaben. Wenn sie aufgehört S. 250 haben, ein öffentliches Amt zu bekleiden, so behaupten sie doch immer noch eine private Gewalt zu ihren Räubereien; und so ist die Gewalt, die sie einst als Richter besaßen, doch noch weniger drückend als die, die sie jetzt im Privatleben besitzen; denn in jener werden sie doch öfter abgelöst, in dieser niemals. Sieh da, was Gesetzesvorschriften vermögen! Sieh da, was die Bestimmungen und Verordnungen nützen, die jene am meisten mißachten, die sie ausführen sollen! Freilich werden die Niedrigen und Verachteten zum Gehorsam gezwungen; die Armen werden angehalten, den Befehlen zu folgen; und wenn sie nicht gehorchen, werden sie bestraft. Man wendet hier nämlich dieselbe Art des Verfahrens an wie bei den Steuern: sie allein sind den Geboten des Staates Untertan, wie sie auch allein Steuern zahlen. Und so wird trotz aller Gesetze und trotz aller Gerechtigkeitsparagraphen doch das Verbrechen der größten Ungerechtigkeit begangen, da die geringen Leute das als etwas Heiliges beobachten müssen, was die Mächtigen wie wertlosen Plunder beständig mit Füßen treten.