8. Abraham. Sodoma und Gomorrha
Als Gott nun nach der Sintflut das Menschengeschlecht gesegnet und durch diesen Segen eine ungeheuere Menschenmenge hervorgebracht hatte, redete er zu Abraham 1 vom Himmel und befahl ihm, sein Vaterland zu verlassen und ein anderes aufzusuchen. Er wird gerufen, er folgt; er wird geführt, und er läßt sich nieder. Aus einem Armen wird ein Reicher, aus einem Unbedeutenden ein Mächtiger, aus einem verachteten Heimatlosen ein hochgeachteter Würdenträger. Aber damit Gottes Geschenke nicht als ganz unverdiente Gaben erscheinen, wird der durch Unglück geprüft, der sich des Glückes erfreut hatte. Es kommt Mühe, Gefahr, Furcht über ihn. Er wird gequält durch Auswanderung, heimgesucht durch Verbannung, mit Schmach beladen, seiner Gattin beraubt Gott befahl ihm, seinen Sohn zu opfern; der Vater bot ihn an und opferte ihn wenigstens dem Willen nach. Wieder Verbannung, wieder Furcht, der Neid der S. 59 Philister, der Raub des Abimelech, Zwar viel Unglück, aber doch ebensoviel Trost; denn wenn er auch von soviel Leid bedrängt wird, wird er doch von allem befreit. Was läßt sich nun daraus folgern? Ist nicht in all den angeführten Fällen Gott es, der beobachtet und auffordert und führt und sorgt und bürgt und schützt und beschenkt und prüft und erhöht und bestraft und richtet? Er ist Beobachter, da er aus allen einen auswählt, den er als den besseren erkennt; er ist es, der zur Tat drängt, indem er ihn ruft; er ist Führer, indem er ihn ins unbekannte Land geleitet; er ist bekümmert, da er bei der Eiche erscheint; 2 er ist Bürge, indem er Zukünftiges verspricht; er ist Beschützer, da er ihn unter wilden Völkern behütete; er ist Geber, da er bereicherte; er ist Prüfer, indem er ihn durch Unglück versuchen wollte; er ist es, der erhöht, weil er ihn mächtiger machte als alle; er ist Rächer, indem er ihn an seinen Feinden rächte; Richter, indem er gleichzeitig mit der Strafe richtete. Bald nach diesem Ereignis redet Gott wieder und sagt: „Das Geschrei von Sodoma und Gomorrha hat sich gemehrt, und ihre Sünde ist zu schwer geworden." 3 Das Geschrei von Sodoma und Gomorrha, sagte er, hat sich gemehrt. Schön sagt er von den Sünden, sie könnten schreien. Laut muß zweifellos das Geschrei der Sünde sein, da es von der Erde zum Himmel dringt. 4 Warum aber versichert er, daß die Sünden der Menschen sozusagen schrien? Wohl, weil Gott sagen will, daß seine Ohren vom Lärm der Sünde hallen, damit die Strafe für die Vergehen nicht länger aufgeschoben wird. Ja wahrlich, es muß ein Geschrei, und zwar ein großes Geschrei sein, wenn die Güte Gottes dem Geschrei der Sünden unterliegt und sich gezwungen sieht, die Sünder zu strafen. Es zeigt der Herr also, wie ungern er sogar die größten Sünder bestraft, indem er sagt, das S. 60 Geschrei von Sodoma sei zu ihm heraufgedrungen. Damit will er sagen: Meine Barmherzigkeit rät mir zwar zur Schonung, aber das Geschrei der Sünden zwingt mich zur Strafe. Was geschah nun nach diesen Worten? Es werden Engel nach Sodoma geschickt; 5 sie machen sich auf den Weg, sie treten ein in die Stadt; sie werden von der Dienstwilligkeit der Guten gewartet, von der Ungerechtigkeit der Bösen belästigt. Die Ruchlosen werden geblendet, die Rechtschaffenen werden gerettet. Loth wird mit seinen teueren Angehörigen aus der Stadt hinausgeführt, die Stadt mit ihren gottlosen Bewohnern verbrannt. Hat nun Gott, so frage ich hier, aus seinem Richteramt heraus oder ohne ein Richteramt auszuüben, über die Bösen Feuer gesandt? Wer behauptet, Gott habe die Sodomiten nicht als Richter bestraft, beschuldigt ihn der Ungerechtigkeit. Wenn er aber in Vollzug eines Gerichtes die Bösen vernichtet, so hat er gerichtet. Natürlich hat er gerichtet, und zwar wie im künftigen Gericht. Denn wie es offenbar ist, daß zur Strafe der Bösen im Jenseits die Hölle brennen wird, so hat Sodoma und die benachbarten Städte eine Flamme vom Himmel verzehrt. In jenem irdischen Gericht, in dem er über das gottlose Volk Feuergluten vom Himmel sandte, wollte Gott das künftige Gericht ankündigen. Auch der Apostel 6sagt, Gott habe ein warnendes Beispiel aufgestellt für alle, die in Zukunft Schlimmes tun wollten, indem er die Städte Sodoma und Gomorrha durch Vernichtung bestrafte, obwohl auch in dieser Handlungsweise mehr Barmherzigkeit als Strenge lag. Barmherzigkeit war es, daß er die Strafe so lange hinausschob Gerechtigkeit, daß er doch einmal strafte. Und indem Gott Engel nach Sodoma sandte, wollte er uns beweisen, daß er sogar die Bösen wider Willen straft; wenn wir lesen, was die Engel von den Sodomiten zu erdulden hatten, und die ungeheure Größe der Verbrechen, die Schändlichkeit der Sünden, die Lüstern- S. 61 heit der Begierden sehen, so will uns Gott dadurch beweisen, daß er sie nicht zugrunde richten wollte, sondern daß sie selbst ihren Untergang mit Gewalt erzwangen,