6. Auch fromme Männer der Heiligen Schrift rufen ein zeitliches Gericht Gottes herbei
Wo bleiben nun die, die behaupten, Gott beachte die menschlichen Dinge nicht? Siehe nur, wie oft die heiligen Zeugen an der Person eines einzigen Menschen uns gelehrt haben, daß Gott sie nicht nur beachtet, sondern S. 83 auch gerichtet hat! Und warum dies alles? Wozu anders, als daß wir einsehen sollen, das Gericht und die Strafe des Herrn seien zukünftig in der Welt dieselben wie in der Vergangenheit? Und deshalb lesen wir, daß manchmal auch heilige Menschen durch das Gericht Gottes gezüchtigt wurden, damit wir erkennen, daß wir von Gott, dem Richter, auch in diesem Leben gerichtet werden können. Denn, wie Gott immer ist, so ist auch seine Gerechtigkeit ewig; wie die Allmacht des Herrn niemals Einbuße erleidet, so ist auch sein Gericht unabänderlich; wie Gott in seinen Gesetzen beharrlich ist, so dauert auch seine Gerechtigkeit immer fort. Und so fordern fast alle Heiligen in der Heiligen Schrift, in Furcht schwebend vor drohenden Gefahren und den Schwertern der Verfolger, daß ein Gericht Gottes schon in der Zeit in Kraft trete. So nämlich sagt der Gerechte im Psalm: „Richte mich, o Gott, und scheide meinen Handel wider ein unheiliges Volk!" 1Und damit seine Worte nicht auf das zukünftige Gericht Gottes bezogen werden können, fügt er gleich hinzu: "Und vom ungerechten und arglistigen Manne rette mich!" Wenn er also um Befreiung aus den Händen des Verfolgers fleht, so verlangt er doch ein zeitliches Gericht Gottes. Und mit Recht ruft er im Bewußtsein seiner guten Sache nicht so sehr die Gnade Gottes an als vielmehr sein Gericht, weil ein gerechtes Gericht immer die beste Stütze für eine gute Sache ist. Auch an anderer Stelle ist das ganz klar ausgesprochen: „Richte, o Herr, die mir Unrecht tun! Bekämpfe die, welche mich bekämpfen! Ergreife die Waffen und den Schild, erhebe dich zu meiner Hilfe!" 2Du siehst, daß auch an dieser Stelle nicht die Strenge eines zukünftigen Gerichtes, sondern der Urteilsspruch eines gegenwärtigen verlangt wird. Denn das will er damit sagen, wenn es heißt: nimm den Schild und ergreife das Schwert! Den Schild nämlich zum Schutz, das Schwert zur Rache. Nicht als ob Gott bei seinem Gericht dieser Rüstung be- S. 84 dürfe; aber weil in dieser Welt die Bezeichnungen für diese schrecklichen Dinge Werkzeuge schrecklicher Gerichte sind, bringt auch er, da er um Verurteilung und Bestrafung seiner Feinde bittet, die Gewalt göttlicher Rache mittels der Worte für irdisches Gericht zum Ausdruck und spricht zum menschlichen Verständnis in Bezeichnungen für menschliche Dinge. Schließlich zeigt derselbe Prophet, was für ein Unterschied zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Gericht Gottes sei. Denn wie spricht er zu Gott über die Entscheidungen des Gerichtes Gottes hienieden? "Du sitzest auf dem Thron, der du mit Gerechtigkeit richtest." 3Was aber über das zukünftige und ewige Gericht? "Er wird richten", heißt es, „den Erdkreis nach Billigkeit", und wiederum: „Richten wird er die Völker in Gerechtigkeit." 4Also unterscheidet er schon durch das Präsens und durch das Futur in den Verben die Zeit beider Gerichte. Um nämlich das Gericht auf dieser Welt zu bezeichnen, heißt es: Du richtest. Um aber das Gericht im Jenseits von dem im Diesseits zu unterscheiden, setzt er nachher hinzu: Er wird richten. Diese Beweise aus der Vernunft, durch Beispiele und Zeugnisse, die Gottes Sorge um uns, seine Regierung und sein Gericht aufzeigen, mögen genügen, besonders deshalb, weil auch das Folgende alles dem gleichen Ziele dienen wird. Wenn uns nunmehr Gott, dessen Sache wir führen, die Kraft dazu verleiht, werden wir versuchen, die Einwände der Regner gegen das Gesagte vorzubringen und zu widerlegen. S. 85