7. Es ist nicht erlaubt, unter den Geboten Gottes eine Auswahl zu treffen
Aber wir scheinen vielleicht nur die schwereren Gebote herauszugreifen, die keiner erfüllt, und die, wie man glaubt, überhaupt nicht erfüllt werden können, während wir die andern übergehen, die erfüllt werden können und von allen erfüllt werden. Aber zunächst ist da zu beachten, daß es keinem Diener gestattet ist, aus den Befehlen seines Herrn nach seinem Belieben die auszuwählen, die er befolgen, und die, die er nicht befolgen will, und in unverschämter Anmaßung das anzunehmen, was ihm gefällt, und zurückzuweisen, was ihm mißfällt. Glauben ja doch auch die irdischen Herren keineswegs mit Gleichmut dulden zu können, wenn die Sklaven teils auf ihre Befehle hören, teils sie übersehen und nach eigenem Gutdünken das tun, was sie tun zu müssen glauben, das mißachten, was sie mißachten zu müssen meinen. Denn wenn die Sklaven den Herrn nach eigenem Belieben folgen, gehorchen sie nicht einmal in den Dingen, in denen sie Gehorsam leisten. Wenn nämlich der Diener von den Befehlen seines Herrn nur diejenigen ausführt, die er ausführen will, so erfüllt er nicht den Willen seines Herrn, sondern seinen eigenen. Wenn nun wir, die wir doch schwache Menschlein sind, von unsern Dienern durchaus nicht verachtet sein wollen, die in ihrer Eigenschaft als Bedienstete zwar unter uns stehen, als Menschen aber uns gleich sind: wenn das so ist, wie ungerecht ist es also von uns, den himmlischen Herrn zu verachten, da wir doch, trotzdem wir selbst Menschen sind, von Menschen unseresgleichen uns nicht verachten lassen wollen. Außer wir wären etwa so klug und von so tiefer Einsicht, daß wir, während wir doch die Ungerechtigkeit unserer Diener nicht ertragen wollen, verlangen, Gott solle sich unsern Ungerechtigkeiten unterwerfen, und daß wir glauben, es sei Gottes würdig, das zu erdulden, was S. 98 zu ertragen eines Menschen unwürdig sei. Aber um zum Obigen zurückzukehren: wenn es welche gibt, die meinen, wir führten nur die größeren Gebote Gottes an und verschwiegen die geringeren, so beklagen sich diese, wie wir nun einsehen, ganz überflüssigerweise. Es besteht nämlich keine gerechte Veranlassung, einige herauszugreifen, wo doch alle erfüllt werden müssen. Wie es nämlich - ich habe es schon gesagt - den Dienern irdischer Herren durchaus nicht freisteht, auszuwählen, welche von den Befehlen des Gebieters sie erfüllen wollen, welche nicht, so müssen auch wir, die wir Diener unseres Herrn sind, es für durchaus unstatthaft halten, entweder, was uns gefällt, zu unserem Vergnügen zu tun, oder was uns mißfällt, in stolzer Anmaßung zu verwerfen.