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Bibliothek der Kirchenväter
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Works Salvian (405-451) Von der Weltregierung Gottes (BKV)
III. Buch

9. Ungeheuer ist die Zahl und das Maß unserer Sünden

Da nun unser Herr uns befahl, in all den angeführten Geboten ihm Gehorsam zu leisten: wo sind die, die Gott in all diesen Vorschriften oder in nur ganz wenigen gehorchen? Wo sind die, die ihre Feinde lieben oder den Verfolgern Wohltaten erweisen, oder die Bösen im Gutestun übertreffen, die den Schlagenden die Wange darbieten, die den Räubern ihres Eigentums dieses ohne Streit überlassen? Wo ist der, der der Ehrabschneidung gar keinen Platz einräumt, der niemand durch seine Schmähsucht beleidigt, der seinen Mund in Stillschweigen S. 102 beherrscht, auf daß er nicht in bittere Schmähungen ausbreche? Wie viele gibt es, die auch nur diese geringsten Anforderungen erfüllen, um nicht von den früher besprochenen größeren Verpflichtungen zu reden? Da sich nun das so verhält und von uns gar keines von den göttlichen Geboten erfüllt wird, warum unterstehen wir uns, über Gott zu klagen, da Gott vielmehr über uns alle klagen könnte? Warum schmerzt es uns, wenn wir bei Gott kein Gehör finden, da wir doch selbst Gott nicht hören? Weshalb murren wir, daß Gott nicht auf die Erde herabschaue, da wir selbst doch nicht zum Himmel aufblicken? Warum ist es uns lästig, wenn unsere Bitten von Gott mißachtet werden, da seine Vorschriften von uns mißachtet werden? Gesetzt den Fall, wir seien unserm Herrn gleichgestellt: was für ein Grund zu gerechter Klage besteht, wenn einer das erleiden muß, was er selbst getan hat? Abgesehen davon, kann ich leicht beweisen, daß wir keineswegs das erleiden, was wir tun, und daß Gott mit uns viel milder vorgeht, als wir mit ihm: aber inzwischen wollen wir nach der Regel verfahren, nach der wir begonnen haben. So sagt nämlich der Herr selbst: „Ich habe zu euch gerufen, und ihr habt mich nicht gehört; und ihr werdet zu mir rufen, und ich werde euch nicht hören." 1 Was ist billiger, was gerechter? Wir haben nicht gehört, wir werden nicht gehört. Wir beachten nicht, wir werden nicht beachtet. Welcher von den irdischen Herren, so frage ich, würde sich damit begnügen, mit den Seinen auf dem Fuß zu leben, daß er seine Diener einfach nicht achtet, weil er von ihnen nicht geachtet wurde? Aber wir begehen mit der Verachtung Gottes nicht bloß den Fehler wie die Diener, die ihre irdischen Herren verachten; denn die größte Mißachtung der Diener besteht in diesem Falle dann, daß sie nicht tun, was ihnen aufgetragen wird. Wir aber tun nicht nur mit allem Eifer, aller An- S. 103 strengung das Gebotene nicht, sondern wir handeln auch noch den Geboten zuwider. Gott befiehlt, daß wir uns alle gegenseitig teuer seien; wir zerreißen einander in gegenseitiger Anfeindung. Gott befiehlt, daß alle den Notleidenden von dem Ihren mitteilen; gar alle aber greifen lieber nach fremdem Eigentum. Gott befiehlt auch, daß jeder Christ seine Augen in Zucht halte. Wie wenige gibt es, die sich nicht im Schmutz der Unkeuschheit wälzen? Und dann - schwer und traurig ist es, was ich sagen werde - die Kirche selbst, die in allem Versöhnerin Gottes sein sollte, was ist sie anders als Verhöhnerin Gottes? Und ganz wenige, die das Böse fliehen, ausgenommen, was ist die ganze Christengemeinde anders als ein Auswurf von Lastern? Wie wenige findet man in der Kirche, die nicht Trinker, Schwelger, Ehebrecher, Hurer, Räuber, Schlemmer, Banditen oder Mörder sind? Und was das Schlimmste bei all diesem ist: fast all dies geschieht ohne Ende. Ich wende mich an das Gewissen aller Christen; von all diesen angeführten Frevlern und Verbrechern - wie wenig Menschen gibt es, die nicht etwas davon sind, wie wenige, die nicht alles sind! Leichter findet man einen, der alles ist, als einen, der nichts ist. Und nichts von dem, was wir gesagt haben, kann etwa als allzu strenges Urteil gelten: ich werde noch viel mehr sagen. Leichter findet man solche, die aller dieser Übeltaten schuldig sind, als solche, die nicht aller schuldig sind; leichter solche, die die größeren Verbrechen begangen haben als die geringeren, das heißt eher solche, die größere mitsamt den kleineren Übeltaten, als solche, die nur kleinere ohne die größeren vollbracht haben. Solchen schimpflichen Sitten ist fast die ganze Christenheit anheimgefallen, so daß es im ganzen christlichen Volk sozusagen eine Art Heiligkeit ist, weniger lasterhaft zu sein. Deshalb ehren manche die Kirchen oder besser die Tempel und Altäre Gottes weniger als das Haus des unbedeutendsten Gemeinderichters. Denn die Schwelle S. 104 nicht nur erlauchter Machthaber, sondern auch einfacher Vorsteher oder Beamten ohne weiteres zu überschreiten, erlauben sich nicht alle; nur die, die entweder der Richter rief oder die ein Geschäft dahin führte oder denen ihre eigene hohe Würde den Eingang gestattete; und wenn einer unverschämterweise eingedrungen ist, so wird er entweder geschlagen oder hinausgeworfen oder irgendwie an seiner Ehre oder an seinem Ansehen bestraft. Zu den Tempeln aber oder besser zu den Altären und in die Heiligtümer Gottes dringen alle Sünder und Verbrecher unterschiedslos vor, ohne irgendwelche Furcht vor der Würde des Heiligen. Nicht als ob nicht alle zum Gebet vor Gott eilen müßten, sondern weil der, der zur Versöhnung hineingeht, nicht zur Verhöhnung herausgehen soll; denn es ist nicht ein und dasselbe, um Nachsicht bitten und den Zorn herausfordern. Das ist nämlich eine neue Art der Ungeheuerlichkeit: fast alle tun beständig das, wessen sie sich anklagen. Und diejenigen, die die Kirche betreten, um ihre früheren Sünden zu beweinen, kommen heraus (um neue zu begehen). 2Doch was sage ich, sie kommen heraus? Fast noch in ihrer Andacht und in ihren Gebeten sinnen sie über dieses Neue nach. Etwas anderes tun die Lippen, etwas anderes die Herzen der Menschen; und während sie in Worten die vergangenen Sünden beklagen, sinnen sie im Inneren auf neue; so hilft das Gebet eher dazu, die Sünden zu vermehren als sie abzubitten. Damit der Fluch der Heiligen Schrift sich an ihnen erfülle, daß sie sogar von ihrem Gebet aufstehen als Verdammte und ihr Gebet selbst ihnen zur Sünde werde. 3 Wenn nun endlich S. 105 jemand wissen will, was solche Menschen im Tempel denken, so lese er das Folgende. Wenn nämlich der Gottesdienst zu Ende ist, so eilen alle zu ihren gewöhnlichen Beschäftigungen: die einen stehlen, die andern betrinken sich, andere treiben Unzucht, wieder andere gehen auf Raub aus. So tritt es deutlich zutage, daß sie das während ihres Aufenthaltes im Gotteshaus überlegten, was sie ausführen, gleich nachdem sie dieses verlassen haben.


  1. Sprichw. 1, 24; Mich. 3, 4; Ps, 17, 42; Jer. 11,11; Zach. 7, 13. ↩

  2. lat: et qui intrant ecclesiasticam domum, ut mala antiqua defleant, +++ exeunt. Unheilbare Stelle. Die Ergänzungsvorschläge von Halm: exeunt, ut nova committant, und Pauly: execluri nova exeunt, geben den gleichen Sinn, Ebenso der von C. Brakman [Mnemosyne N.F. 52 [1924] S. 168.]; ut nova a se liant, exeunt. ↩

  3. Ps. 108. 7. ↩

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