4. Raubgier der Reichen und hohen Beamten
Aber warum spreche ich in so gedrängter Kürze und sozusagen nur in Anspielungen von diesen Dingen, da doch durch ganz offene Taten nicht nur Diebstähle, sondern auch Räubereien der Reichen erwiesen sind? Denn wo gibt es einen Armen, 1 der neben einem Reichen in seinem Handel und Wandel noch sicher ist? Denn durch den Aneignungsschwindel 2der Mächtigen verlieren die Schwachen entweder das Ihre oder sich selbst zusamt dem Ihren, wie denn auch nicht mit Unrecht von den Vertretern beider Gattungen die Heilige Schrift bezeugt, indem sie sagt: "In der Wüste ist der wilde Esel die Jagdbeute des Löwen; so sind die Armen Weide- S. 119 gründe für die Reichen." 3Doch diese Gewaltherrschaft müssen nicht nur die Armen, sondern fast alle Menschen ertragen. Was anderes bedeutet für manchen Hohen seine Würde als Proskription von Städten? Was anderes bedeutet gewissen Leuten, die ich nicht nennen will, ihr Präfektenamt als Beutemacherei? Es gibt keine stärkere Ausplünderung der Armen als seitens der Machthaber. Dazu werden nämlich die Ehrenstellen von einigen wenigen gekauft, um sie mit Ausplünderung aller zu bezahlen. Was kann unwürdiger und ungerechter sein? Die Unglücklichen erlegen den Kaufpreis für Würden, die sie nicht kaufen; vom Handel wissen sie nichts, wohl aber vom Zahlen; damit wenige glänzen können, wird eine Welt vernichtet. Der Ehrgeiz eines einzigen ist der Ruin der ganzen Welt. Das wissen die beiden Spanien, denen nur noch der Name übrig geblieben ist; das wissen die afrikanischen Provinzen, die es gegeben hat; das weiß das verwüstete Gallien, mag auch seine Verwüstung nicht allgemein sein; und so führt es in ganz wenigen Winkeln noch ein kümmerliches Schattendasein, weil ab und zu doch die Redlichkeit von ein paar Menschen dem Lande wieder aufhalf, das die Raubsucht der Vielen ausgesaugt hat.
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Die Ausgabe von Pauly hat: „Quotusquisque enim iuxta divitem non pauper aut actu statu tutus est?" Es entspricht mehr dem Sinn, wenn mit der Hs. B das „non" wegfällt. ↩
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Wenn ein armer rusticus, der die Steuern nicht mehr zahlen konnte, seinen Besitz (fundus) einem Reichen überlassen hatte, so ließ dieser Mächtige den Namen des früheren Besitzers in den Steuertabellen meist nicht streichen und also auch den eigenen nicht eintragen, so daß der alte Besitzer dem Fiskus gegenüber noch steuerpflichtig war. Trotzdem nahm der patronus den fundus sogleich in Besitz, so daß der Arme nur sein Eigentum verloren, aber keine Steuererleichterung oder Befreiung erfahren hatte. Solche ungerechte Herren nennt Salv. pervasores (vgl. A. Härnmerle, Studien zu Salv. Priester von Massilia, II Progr- Neuburg a. d. D. 1896 S. 12 f.) ↩
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Ekkli. 13, 23. ↩