8. Nicht Gott bestraft uns, wir bestrafen uns selbst
Wo ist da Grund zur Klage? Wie hart und widrig auch sei, was wir erdulden, immer noch leiden wir Geringeres, als wir verdienen. Warum klagen wir, daß Gott hart mit uns verfährt? Wir verfahren mit Gott um vieles härter. Wir erbittern ihn durch unser sündenbeflecktes Leben und zwingen ihn gegen seinen Willen zur Strafe. Ist auch Gottes erhabener Geist durch keinen Ausbruch des Zornes zu erregen, so liegt doch in unsern Sünden ein solches Ärgernis, daß er durch uns zum Zorn gezwungen wird. Wir tun seiner Güte, um den Ausdruck zu gebrauchen, Gewalt an und legen sozusagen Hand an seine Barmherzigkeit. Obwohl es eine Folge seiner Güte ist, daß er uns ständig verschonen will, wird er durch unsere Sünden gezwungen, die von uns begangenen Frevel zu S. 125 strafen. Und wie jene zu tun pflegen, die stark befestigte Städte belagern und wohlbewehrte Zitadellen einnehmen und stürzen wollen - sie gehen zweifellos mit allen Arten von Geschossen und Maschinen gegen sie vor -, so kämpfen wir, um die Barmherzigkeit Gottes zu überwinden, mit allen unmenschlichen Verbrechen wie mit allen Arten von Geschossen. Und wir glauben, Gott sei ungerecht gegen uns, während wir doch selbst am ungerechtesten gegen Gott sind. Denn jedes Christen jegliche Schuld ist ein Unrecht gegen die Gottheit. Denn wenn wir das von Gott Verbotene begehen, treten wir die Gebote des Herrn mit Füßen; und deshalb ist es ruchlos, in unserm Unglück die göttliche Strenge anzuklagen. Uns selbst müssen wir vielmehr anklagen. Denn wenn wir begehen, wofür wir gezüchtigt werden müssen, sind wir selbst die Urheber unserer Qual. Warum also klagen wir über die Bitternis der Strafe? Jeder einzelne von uns bestraft sich selbst. Und deshalb paßt jenes Wort des Propheten auf uns: „Siehe, ihr alle zündet das Feuer an und gebt der Flamme Nahrung; geht ein in die Glut eueres Feuers und der Flamme, die ihr angezündet habt!„ 1Denn das ganze Menschengeschlecht stürzt sich auf diese Art in die ewige Strafe, wie die Heilige Schrift darlegt. Zuerst nämlich zündet es das Feuer an, dann gibt es den Flammen Nahrung; zuletzt geht es hinein in die Glut, die es bereitet hat. Wann zündet denn der Mensch zuerst sich das ewige Feuer an? Doch dann, wenn er zu sündigen anfängt. Wann gibt er der Flamme Nahrung? Wenn er immerfort Sünden auf Sünden häuft. Wann aber wird er eingehen in das ewige Feuer? Dann, wenn er das Maß aller Frevel durch eine Unzahl stetig anwachsender Verbrechen bis zum Überfließen voll- S. 126 gemacht hat, wie unser Heiland zu den Führern der Juden sagt: „Macht das Maß euerer Väter voll, ihr Schlangen, ihr Natterngezücht!“ 2Sie waren nicht mehr weit vom Vollmaß der Sünden entfernt, da ihnen der Herr selber sagte, sie sollten die Sünden bis oben häufen. Ohne Zweifel sollten sie deswegen, weil sie schon des Heiles nicht wert wären, die Zahl der Frevel vollmachen, um dadurch zugrunde zu gehen. Nachdem daher auch das Alte Testament erzählt, daß die Sündenzahl der Amorrhäer voll sei, berichtet es, daß die Engel zu dem guten Loth also gesprochen hätten: „Führe all die Deinigen aus dieser Stadt heraus; denn wir werden diesen Ort vertilgen, weil ihr Geschrei sich gemehrt vor dem Herrn, der uns geschickt, sie zu verderben.“ 3Schon längst, fürwahr, hatte jenes lasterhafte Volk das Feuer angezündet, durch das es zugrunde gehen sollte. Und nachdem seine Laster das Vollmaß erreicht hatten, verbrannte es in den Flammen seiner Frevel. So schlecht hatte es gegen Gott gehandelt, daß es die Höllenstrafe, die eigentlich erst im jenseitigen Gericht verhängt wird, schon im Diesseits aushalten mußte.
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Is. 50, 11. Salv. hat: „ecce vos omnes ignem accenditis et vires praebuistis flammae: ingredimini in lucem ignis vestri et flammae, quam accendistis. Die Vulg. hat; ecce vos omnes accendentes ignem accincti flammis, ambulate in lumine ignis vestri et in flammis, quas succendistis. Vgl. auch Ullrich a. a, O. S. 12. ↩
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Matth. 23, 32 f. ↩
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Gen. 19, 12 f. ↩