8. Unrecht und Bedrückung zwingen die Armen zur Aufgabe der Freiheit
Aber natürlich werden die, die in einer Hinsicht böse sind, in anderer als maßvoll und gerecht befunden, und sie gleichen die Bosheit in einer Sache durch Gerechtigkeit in einer anderen wieder aus. Denn wie sie mit der Last neuer Steuerausschreibungen die Armen beschweren, so unterstützen sie sie auch wieder durch die Zuwendungen neuer Hilfsmittel; einerseits bedrücken sie die Niedrigen außerordentlich durch neue Abgaben, anderseits erleichtern sie ihr Los sehr wirksam durch neue Hilfsmittel. Mit nichten; in Wirklichkeit ist die Ungerechtigkeit in beiden Punkten gleich groß. Denn wie sie bei der Unterdrückung der Armen die ersten sind, so sind sie die letzten bei ihrer Wiederaufrichtung. Wenn S. 165 nämlich die Regierung, wie jüngst erst geschehen, wirklich einmal für die heruntergekommenen Städte etwas tun und in etwa die Tributlasten vermindern zu müssen glaubt, dann teilen sofort die Reichen allein diese Erleichterung unter sich auf, die für alle gelten sollte. Wer erinnert sich dann der Armen? Wer ruft die Niedrigen und Dürftigen zum gemeinschaftlichen Genuß dieser Wohltat? Wer läßt den, der der erste ist beim Tragen der Last, bei ihrer Erleichterung auch nur an letzter Stelle sein? Und weiter: man hält die Armen überhaupt nicht für Steuerzahler, wenn man ihnen nicht ein Übermaß von Steuern auferlegt. Wenn aber die Hilfsmittel verteilt werden, dann fallen sie aus der Reihe der Steuerzahler fort. Und da meinen wir, wir hätten nicht die Strafe göttlicher Strenge verdient, wenn wir die Armen immer so bestrafen; oder glauben wir etwa, daß Gott gegen uns gar nicht gerecht zu sein braucht, da wir in einem fort ungerecht sind? Wo oder bei welchen Völkern herrschen diese üblen Zustände außer bei den Römern? Wer ist so ungerecht wie wir? Die Franken kennen dieses Verbrechen nicht; 1die Hunnen sind frei von solchem Frevel; nichts davon findet man bei den Vandalen, nichts bei den Goten; weit entfernt davon, daß die Barbaren bei den Goten solches erdulden müßten; nicht einmal die Römer, die bei ihnen leben, müssen es erdulden. Deshalb ist es der einzige Wunsch aller dort lebenden Römer, niemals mehr unter die Botmäßigkeit der Römer kommen zu müssen. Ein einziges und ein- S. 166 stimmiges Gebet gibt es bei den dort lebenden Römern, es möchte ihnen vergönnt sein, das Leben, das sie führen, mit den Barbaren weiter zu führen. Und wir wundern uns, daß die Goten von den Unsrigen nicht besiegt werden, da die Römer lieber bei ihnen als bei uns sind! Deshalb wollen unsere Brüder nicht nur nicht von ihnen zu uns zurückkommen, sondern sie verlassen uns, um zu ihnen zu fliehen. Und ich für meinen Teil kann mich nur wundern, daß nicht überhaupt alle dürftigen und armen Steuerzahler es so machen. Es gibt dafür nur einen Hinderungsgrund, nämlich den, daß sie ihre geringe Habe und ihre Hütten und ihre Familien nicht hinüberbringen können. Denn da die meisten, um der gewaltsamen Steuereintreibung zu entgehen, ihre dürftigen Äcker und Behausungen verlassen müssen, wie sollten sie da nicht wünschen, wenn irgendwie möglich, das mit sich zu nehmen, was zu verlassen man sie zwingt? Weil sie also das nicht tun können, was sie lieber möchten, tun sie, wozu allein sie imstande sind: sie liefern sich nämlich Größeren zu Schutz und Schirm aus, ergeben sich den Reichen als Hörige und begeben sich sozusagen unter deren Gewalt und Botmäßigkeit. Und ich würde diesen Zustand gar nicht für drückend oder unwürdig erachten, im Gegenteil, die Großen zu dieser ihrer Macht beglückwünschen, der die Armen sich ausliefern, wenn jene diese Schutzherrschaft nicht verkauften, wenn ihre vorgebliche Verteidigung der Niedrigen aus Menschlichkeit geschähe, nicht aus Habgier. Das ist grausam und außerordentlich bitter, daß sie auf diese Weise scheinbar die Armen schützen, um sie zu berauben, daß sie so die Unglücklichen verteidigen, um sie durch ihre Verteidigung noch unglücklicher zu machen. Denn alle die, die scheinbar geschützt werden, weisen, schon bevor sie den Schutz genießen, fast ihre ganze Habe den Beschützern zu; und so verlieren die Söhne das Erbe, damit die Vater einen Schutz genießen. Der Schutz der Eltern wird mit der Bettelarmut der Kinder erkauft. So sieht S. 167 die Hilfe und die Schirmherrschaft der Großen aus: nichts teilen sie ihren Schützlingen zu, sich selbst aber alles. Unter der Bedingung wird den Eltern zeitweise etwas überlassen, daß den Kindern für die Zukunft alles genommen werde. Die Großen verkaufen also - und zwar manche um ganz schweres Geld - alles, was sie bieten. Aber, was sage ich: sie verkaufen es! Wenn sie doch auf gewöhnliche und allgemeine Art verkauften, dann bliebe vielleicht den Käufern auch etwas übrig. Aber das ist ja eine ganz neue Art von Kauf und Verkauf! Der Verkäufer gibt nichts her und empfängt alles; der Käufer empfängt nichts und verliert alles ganz und gar. Und da es doch bei jedem Kaufvertrag so ist, daß der Käufer der Beneidenswerte und der Verkäufer der Dürftige zu sein scheint, weil der Käufer kauft, um sein Vermögen zu vermehren, der Verkäufer zu dem Zweck verkauft, es zu verringern, ist dies eine unerhörte Art des Handelns. Das Vermögen des Verkäufers wächst, den Käufern bleibt nichts als nur der Bettelstab. Das ist doch untragbar und ungeheuerlich und so, daß es denkende Menschen, ich darf nicht sagen, nicht ertragen, nein, kaum mehr hören können. Die meisten Armen und Unglücklichen werden ihrer kleinen Habe beraubt und aus ihren Gütchen hinausgeworfen; und nachdem sie alles verloren haben, müssen sie für das verlorene Vermögen auch noch Steuern auf sich nehmen. Den Besitz sind sie los geworden, die Besitzsteuer werden sie nicht los. Vermögen haben sie keines und werden doch mit Abgaben überschüttet. Wer kann ein solches Übel abwägen? Eindringlinge sitzen auf ihrer Habe, die Steuern dafür müssen die Unglücklichen statt der Eindringlinge zahlen. Nach dem Tode des Vaters haben die Kinder auf Grund der Rechtsnachfolge 2ihre Äcker nicht mehr S. 168 und gehen doch an den Leistungen für diese Äcker zugrunde. Und was anderes wird durch dieses große Verbrechen erreicht, als daß die, die durch private Eingriffe ihrer Habe beraubt worden sind, durch öffentliche Bedrückung noch völlig vernichtet werden, und daß die, denen durch Raub das Vermögen genommen wurde, nun durch Steuereintreibung auch ums Leben kommen? Deshalb suchen einige von denen, über die wir reden, die entweder klüger sind, oder die die Not klüger gemacht hat, Grundstücke der Großen auf und werden Kolonen, wenn sie Haus und Hof entweder durch gewaltsame Enteignung verlieren oder, von den Steuerboten vertrieben, sie verlassen, weil sie ihren Besitz ja doch nicht halten können; und wie die, die der Schreck vor dem Feinde vertrieb, sich in feste Plätze begeben oder andere nach Verlust der angebornen Freiheit verzweifelt in irgendein Asyl sich flüchten, so nehmen auch diese das Joch eines verachteten Hintersassen 3auf sich, weil sie weiterhin ihren angestammten Wohnsitz und die Würde ihrer Abkunft doch nicht erhalten können; soweit hat sie die Not getrieben, daß sie Heimatlose nicht nur ihrem Vermögen nach, sondern auch ihrem Stande nach sind, daß sie nicht nur aus ihrer Habe hinausgedrängt sind, sondern auch aus ihrem ganzen Selbst und mit sich selbst all das Ihre verlieren; sie sind ganz ohne Eigentum und verlieren dazu Recht und Freiheit. 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Auch der Grieche Agathias rühmt gerade den Franken Gerechtigkeitssinn nach. Historiae I 2 schreibt er über die Franken: xxxxx xxxxx xxxxx.Der im 6. Jahrh. entstandene Prologus zum salischen Gesetz nennt den fränkischen Stamm "iuxta morum qualitatem desiderans iustitiam„. Dagegen nennt Eusebius die Franken gerade im Gegenteil xxxxx. (Vgl. J. Schmaus, Geschichte und Herkunft der Franken, Bamberg 1912, S. 155 f.) ↩
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Nach dem Tode des Vaters hatten die Kinder für die laufenden Steuern und Steuerrückstände aufzukommen, während der pervasor sich im Besitz des fundus zu behaupten wußte (Härnmerle a.a.O. II S. 14). ↩
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„Es traten also auch Leute besserer Herkunft, wohl mittlere Grundbesitzer in den Kolonenstand.“ ( Härnmerle a.a.O. II S. 18, Anm. 3.) „Das Wort inquilinus (Insasse auf fremdem Grund und Boden) hatte schon zur Zeit des Sallust einen üblen Beigeschmack.“ An unserer Stelle ist das Wort gleichbedeutend mit colonus - an die fremde Scholle gebundener Ackerbauer (Härnmerle II 20 f.). Die Lage der niederen und unfreien Landbevölkerung war in der Tat sehr drückend, aber auch die Besitzenden waren oft sehr bedrängt, was Salvian ganz außer acht läßt (Härnmerle II 24 f , III 43). ↩