12. Aber auch die Heimsuchungen der verheerenden Völkerwanderung haben das Volk nicht gebessert; das Beispiel Karthagos
Aber natürlich werden wir, die wir durch das Glück verdorben werden, durch das Unglück gebessert; und die ein langer Friede maßlos gemacht hat, führen Wirrnisse zum Maße zurück? Wurden die Bewohner der Städte, die im Glück schamlos gewesen waren, durch das Unglück rein? Hörte etwa die Trunkenheit, die in Ruhe und Überfluß gediehen war, wenigstens bei feindlicher Plünderung auf? Durch viele Niederlagen ist Italien schon verwüstet worden; hörten die Laster der Italer deshalb auf? Die Stadt Rom wurde belagert und erobert; haben also die Römer aufgehört, in ihrem Wahnwitz Gott zu lästern? Barbarenvölker haben die gallischen Gaue überschwemmt: ist also die Schuld der Gallier, was die verworfenen Sitten anlangt, nicht die gleiche geblieben wie früher? Die Volksscharen der Vandalen sind nach Spanien hinübergestiegen: geändert hat sich nur das Schicksal der Spanier, nicht geändert ihre Lasterhaftigkeit. Und damit schließlich kein Teil der Welt vom schrecklichen Verderben unberührt bleibe, S. 200 fuhr der Krieg über die Wogen des Meeres dahin. Er hat die meergeschützten Städte verwüstet, er hat Sardinien und Sizilien, die Kornkammern des Fiskus, verheert und so gleichsam die Lebensader durchschnitten; er nahm Afrika selbst, gleichsam die Seele des Staates, hinweg. Was dann? Nachdem Barbarenvölker jenes Land besetzt hatten, hat vielleicht da die Furcht den Lastern ein Ende gemacht? Oder, wie sich für den Augenblick sogar die schlechtesten Sklaven zu bessern pflegen, hat wenigstens der Schrecken von ihnen Bescheidenheit und Zucht erzwungen? Wer kann dieses Unglück ermessen? Um die Mauern von Cirta und Karthago ließen Barbarenvölker ihre Waffen erklirren - die Kirche von Karthago aber raste im Zirkus, schwelgte in den Theatern. Die einen wurden draußen gemordet, die anderen trieben drinnen Unzucht. Ein Teil des Volkes war draußen in der Gefangenschaft der Feinde, ein Teil drinnen in der Gefangenschaft der Laster. Es ist unentschieden, wessen Schicksal schlimmer war. Jene waren draußen gefangen dem Leibe nach, aber diese drinnen dem Geiste nach; und von den zwei tödlichen Übeln ist es für einen Christen leichter, wie ich meine, die Gefangenschaft des Leibes als die der Seele auszuhalten, gemäß jener Lehre des Erlösers im Evangelium, viel schwerer sei der Tod der Seele als der des Leibes. 1Oder glauben wir etwa, jenes Volk sei der Seele nach nicht geknechtet gewesen, das bei der Gefangennahme der Seinen sich noch freute? War der im Herzen und dem Sinne nach nicht gefangen, der während der Todesqualen der Seinen lachte? der nicht einsah, daß mit dem Mord der Seinen auch er selbst ermordet werde? der nicht glaubte, daß der Tod der Seinen sein eigner Tod sei? Tosender Lärm, um mich so auszudrücken, war außerhalb und innerhalb der Mauern, außen von Kämpfen, innen von Spielen; das Schreien der Sterbenden mischte sich mit dem Geschrei der Rasenden; und kaum konnte man vielleicht das Ge- S. 210 heul der Volksgenossen unterscheiden, die im Kampfe fielen, und das Geschrei derer, die im Zirkus lärmten. So geschah es; und was bezweckte ein solches Volk anderes, als daß es seinen Untergang geradezu selbst erzwang, selbst wenn Gott es von sich aus noch nicht hätte vernichten wollen?
-
Luk. 9, 24. ↩