3. Durch das Laster der Unzucht haben sich besonders die Aquitanier befleckt
Oder ist das etwa falsch und sage ich es mehr aus Haß als aus Wahrheitsliebe? Ich gebrauche nicht die Art von Beweisen, die andere in Prozessen anzuwenden pflegen: ich führe nämlich nicht einige wenige oder fremde oder ungeeignete Zeugen an. Ich will die selbst fragen, die solches getan haben. Wenn sie leugnen, haben wir falsch gesprochen. Sie gestehen aber und, was noch schlimmer ist. sie gestehen so, daß ihnen das Geständnis S. 218 keinen Schmerz bereitet. Denn jetzt beim Geständnis haben sie die gleiche Gesinnung wie zuerst bei der Tat. Wie sie sich damals nicht geschämt haben, Schandtaten zu begehen, so reut es sie jetzt durchaus nicht, die Frevel getan zu haben. Ausgenommen sind nur ganz wenige, fast heilige und ausgezeichnete Männer, die, wie jemand 1aus ihnen selbst sagt, „durch Geldspenden sich von ihren Sünden erlösten"; ausgenommen sind diese, sage ich, von denen wir mit Recht glauben, daß sie auch in dieser allgemeinen Überschwemmung mit Lastern geringere Verbrechen sich zuschulden kommen ließen, und die daher verdienten, von der Gottheit zur Besserung geführt zu werden. Denn der beleidigt seinen Herrn nicht in vollem Ausmaße, für den Versöhnung aufgespart wird. Und weiterhin glaube ich, daß dieser immerhin sogar bei der Sünde Gott im Auge behalten hat, weil er es von ihm erlangen konnte, daß er nicht länger im Irrtum verweilte. Die übrigen aber, ja fast die meisten, und zwar zu gleicher Zeit auch die Vornehmen, sind fast alle gleich; fast ein einziger Schlund sind die Kehlen aller, fast ein einziges Bordell ist ihrer aller Leben. Was rede ich von Bordellen? Sogar ein Bordell halte ich noch für weniger schuldhaft. Die Dirnen in den öffentlichen Häusern kennen das eheliche Band nicht; und deshalb beflecken sie nicht, was sie nicht kennen. Sie sind der Sünde der Schamlosigkeit schuldig, aber die Schuld des Ehebruches trifft sie nicht. Dazu kommt noch, daß es wenig Bordelle gibt und wenig Dirnen, die in ihnen sich zu einem elenden Leben verurteilt haben. Bei den Aquitaniern aber, welche Stadt ist da in ihren reichsten und vornehmsten Vierteln nicht wie ein Hurenhaus gewesen? Wer von den Mächtigen und Reichen hat nicht im Schmutz der Lüste gelebt? Wer hat sich nicht in einen Abgrund voll schmutzigsten Unrats gestürzt? Wer hat der Gattin die S. 219 eheliche Treue gehalten? Ja, was die Leidenschaft der Wollust anlangt, wer hat seine Gattin nicht unter die Zahl seiner Mägde herabgewürdigt und das Sakrament der heiligen Ehe so tief herabgezogen, daß niemand im Haus infolge der Verachtung des Gatten tiefer zu stehen schien als die, die auf Grund ihrer ehelichen Würde die erste gewesen wäre?
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Salvian zitiert hier mit einigen Veränderungen einen Vers von Paulinus von Nola (epist. 32, 3); vgl. C. Weyman, Hist. Jahrb. der Görresges. 15 (1894), S. 372 f. ↩