4. Die Herren trieben Unzucht mit ihren Sklavinnen
Es mag vielleicht einer denken, es sei doch nicht ganz so, wie ich sage: es hätten nämlich dort die Familienmütter ihre Rechte gehabt, und sie hätten die Ehre und die Macht der Herrin besessen. Es ist wahr; sie hatten vielleicht unbeschränktes Herrschaftsrecht, aber kein unangetastetes Eherecht. Und wir fragen jetzt nicht, welches das Vorrecht der Frau gewesen sei, sondern wie verdorben die Zucht der Männer. Ich möchte aber auch nicht zugeben, daß dort die Hausfrauen die Herrschaft ungeschmälert besessen hätten; denn wer immer das Recht der Ehe nicht unverletzt und in vollem Ausmaße besitzt, hat auch das der Herrschaft nicht unversehrt. Nicht viel mehr fehlt bei der Frau von der Niedrigkeit der Sklavinnen, wo der Hausherr der Gatte der Sklavinnen ist. Und wer von den reichsten Aquitaniern ist das nicht gewesen? Welchen Herrn haben schamlose Mägde nicht mit Recht als Ehebrecher oder als Ehemann für sich genommen? „Wie geile Rosse sind sie gegen Weiber geworden; ein jeder wiehert nach der Gattin seines Nächsten." 1Aber jene, von denen das geschrieben steht, haben vielleicht durch geringere Sünden und, wie ich glaube, durch eine geringere Anzahl von Vergehen und geringere Leidenschaftlichkeit gefehlt. Diese aber wieherten wirklich wie geile Rosse nicht nur nach wenigen, sondern nach fast allen ihren Sklavinnen; daß heißt, sie wieherten S. 220 nach ihren eigenen Herden; und nach Art der Tiere, die man „Herdenmännchen" heißt, stürzten sie sich, toll von der Raserei glühender Wollust, auf jede beliebige Frau, zu der die schamlos brennende Glut sie zuerst hinzog. Ich frage nun die Weisen: Wie müssen wohl unter diesen Umständen die Familien gewesen sein, da die Familienväter so waren? Wie groß muß da die Verderbtheit der Sklaven gewesen sein, wo die Herren so schlecht waren? Wenn das Haupt nämlich krank ist, ist nichts gesund; und gar kein Glied kommt seiner Bestimmung nach, wenn das Wichtigste keinen Bestand hat. In seinem Haus aber ist der Herr sozusagen das Haupt des Leibes, und sein Leben ist für alle die Richtschnur ihres Lebens. Das Schlimmste an dieser Sache ist, daß alle lieber nach Schlechterem greifen und eine schlechte Lebenshaltung leichter Gute schlecht macht als eine gute die Bösen bessert. Da also auch gute und ehrenwerte Familienväter die Diener nicht besser machen können, wie groß muß man sich da die Verderbnis in einer Familie vorstellen, wo die Herren ein Beispiel von Sittenlosigkeit waren? Freilich ist nicht nur das Beispiel allein ein Übel gewesen, sondern auch eine gewisse Vergewaltigung und Nötigung, weil die Sklavinnen sich gegen ihren Willen genötigt sahen, ihren schamlosen Herren zu gehorchen und die Begierde der Gebieter einen Zwang für die Untergebenen bildete. Daraus kann man ersehen, wie tief der Schmutz der schändlichen Schamlosigkeit war, wo es den Frauen unter ihren unzüchtigen Herren nicht gestattet war, keusch zu sein, auch wenn sie gewollt hätten,
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Jer. 5, 8. „In feminas" hat die Vulgata nicht. ↩