13. Auch bestimmte Notfälle befreien nicht von der Pflicht, dem überflüssigen Reichtum zu entsagen
Man könnte aber hier vorbringen, es sei bisweilen nicht das fehlende Vertrauen, sondern die zwingende Not schuld, wenn die Menschen ihr Vermögen genießen; und es sei nicht so, daß die Frommen auf Gott nicht vertrauten, sondern sie legten nur das, was sie für die Notdurft des Lebens unbedingt brauchten, zurück. Denn viele, und zwar ganz gottesfürchtige Menschen, seien an einer völligen und vollkommenen Aufteilung ihrer Habe verhindert, entweder wegen ihres Geschlechts oder wegen ihres Alters oder auch durch die Schwäche und Kränklichkeit ihres armseligen Körpers. Gut: mag dies meinetwegen fortgenommen werden; aber wenn schon, dann soll es so geschehen, daß je nach der Art der Nöte und Gründe nur das Genügende behalten, das Uberflüssige aber abgelegt wird. Denn es sagt der Apostel; „Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, so lasset uns damit zu S. 318 frieden sein. Denn die reich werden wollen, fallen in Versuchung und in die Schlinge des Teufels.„ 1Wir sehen also: nur in dem wirklich Nötigen liegt das Heil, im Überflüssigen ein Fallstrick; in der Mäßigkeit die Gnade Gottes, im Reichtum eine Kette des Teufels. Was fügt denn der Apostel unmittelbar daran? „Sie stürzen den Menschen in Untergang und Verderben.“ 2Wenn demnach der Reichtum den Untergang in sich schließt, meiden wir doch jede Üppigkeit, auf daß wir nicht in den Abgrund stürzen! Es heißt, ein großer, mächtiger Besitz ziehe das Verderben nach sich; fliehen wir also den großen Besitz, auf daß nicht das große Verderben folge! Und mögen so das Geschlecht, das Alter, die körperliche Schwachheit etwas Notwendiges verlangen - immer müssen sie sich mit dem gerade Ausreichenden begnügen; und alles, was den Lebensbedarf übersteigt, tut dem Beruf eines Gottgeweihten Abbruch. Wer du auch seiest - Mann oder Weib - wenn du dich zu einem Leben im Dienste Gottes bekannt hast und dann doch noch begierig bist, Schätze anzusammeln und ein Vermögen anzuhäufen - es ist höchst überflüssig, daß du Krankheit vorschützest! Kann denn das schwächere Geschlecht sein Leben nicht anders fristen, als wenn es die Sorge um seine Seele durch die vielgestaltige Verwaltung eines mächtigen väterlichen Erbes zersplittert? Können eine geweihte Jungfrau oder eine Witwe, die Keuschheit gelobt hat, ihren erwählten heiligen Stand nur dann unverletzt und mit Ausdauer bewahren, wenn sie auf schweren Mengen Goldes und Silbers schlafen und sich eines Besitzes bewußt sind, dessen Größe weit über die Forderungen des Lebensbedarfs der Besitzer hinausgeht? Oder: dem schwachen Geschlecht ist doch ebenso wie der keuschen Zurückgezogenheit Ruhe und Stille sehr vonnöten; glaubt nun wirklich irgendeine S. 319 solche Frau, diese Ruhe und Stille - vielleicht nur von wenigen Mägden bedient - nicht ungestört hüten und pflegen zu können? Muß in ihren Ohren denn wirklich der Lärm einer riesigen Dienerschaft dröhnen und das Durcheinander und das Geschrei dieser lauten Schar um sie herum ihr Gehör abstumpfen? Für eine die Heiligkeit suchende und den wahren Frieden ersehnende Seele bedeutet es ja gewissermaßen schon eine arge Störung des Friedens, solches auch nur ansehen, geschweige denn erst ertragen zu müssen. Und wenn jemand auch solche Leute einer schweigsamen Zucht unterwerfen wollte, könnte er doch nicht ihre Unruhe mit seiner eigenen Ruhe niederhalten; so muß der Versuch, den Unfrieden anderer zu bessern, zu einer Zerstörung unseres eigenen Friedens führen. Was wir aber von dem schwachen Geschlecht sagten, das bezieht sich auf alle und paßt in gleicher Weise für den Vorwand des Alters, des Geschlechtes und der Krankheit. Nein, es darf wirklich kein Mensch glauben, der Reichtum stimme zum Leben in Gott oder schade ihm nicht: in Wahrheit bedeutet er doch eine Hemmung und keine Förderung, eine Last und keine Hilfe! Durch den Besitz und den Genuß von Reichtümern wird das gottverbundene Leben nicht gestützt, sondern gestürzt nach dem Wort, das der Herr selbst sagt: "Die Sorge dieser Welt und die Täuschung des Reichtums ersticken das Wort Gottes, und so bleibt es ohne Frucht.“ 3 Ja, ganz treffend und schön bezeichnet dieser Ausspruch den Reichtum als „täuschend„. Gilt er doch gemeinhin als „Gut“ und heißt auch so, und daher täuscht er die Menschen unter dem Namen eines irdischen Gutes, obwohl er die Ursache ewigen Verderbens ist.