7. Daß die Tugend bei den Gnadengaben nicht in den Wundern, sondern in der Demuth bestehe.
Endlich hat der Urheber aller Zeichen und Wunder, S. b134 als er die Jünger zur Verkündigung seiner Lehre berief, deutlich gezeigt, was seine wahren und auserwählten Nachfolger besonders von ihm lernen sollten: 1 „Kommet“, sagt er, „und lernet von mir,“ wahrhaftig nicht, daß ihr die Teufel mit himmlischer Macht austreibet, nicht die Aussätzigen rein oder die Blinden sehend zu machen oder Todte zu erwecken. Denn wenn ich Dieß auch durch einige meiner Diener wirke, so kann sich doch der Antheil des Menschen nicht mit dem Ruhme Gottes verbinden, und der Diener und Knecht kann sich dort keinen Theil nehmen, wo nur die Herrlichkeit der Gottheit ist. „Ihr aber,“ sagt er, „lernet das von mir, daß ich sanftmüthig bin und demüthig von Herzen.“ Denn Das ist es, was Alle insgesammt lernen und ausüben können; aber die Zeichen und Wunderwerke sind weder immer nothwendig. noch sind sie Allen verliehen. Die Demuth ist also die Meisterin aller Tugenden, sie ist die festeste Grundlage des himmlischen Gebäudes, die eigentliche, herrliche Gabe des Erlösers. Durch sie wirkt alle Wunder, welche Christus gethan hat, ohne Gefahr der Überhebung, wer immer dem sanften Herrn nicht in der Erhabenheit der Zeichen, sondern in der Tugend der Geduld und Demuth nachfolgt. Wer aber die Herrschaft über die bösen Geister oder die Verleihung der Gesundheit an Kranke oder irgend ein Wunderzeichen den Leuten zur Schau tragen will, der ist, obwohl er bei seinen Prahlereien den Namen Christi anruft, doch fern von Christus, weil er dem Lehrer der Demuth mit seinem hochmüthigen Geiste nicht folgt. Denn auch als dieser zum Vater ging und so zu sagen ein Testament machte, hinterließ er das den Jüngern, daß er sagte: 2 „Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebet.“ Und sogleich fügt er hinzu: „Daran werden Alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe zu einander habt.“ Er sagt nicht, wenn ihr Zeichen und Wunder gleich mir thut, sondern wenn ihr eine wür- S. b135 dige Liebe zu einander habt, welche ganz gewiß nur die Sanftmüthigen und Demüthigen bewahren können. Deßhalb sagten unsere Vorfahren nie, daß Diejenigen rechtschaffene Mönche seien und frei von der Krankheit der Ruhmsucht, welche sich selbst bei den Leuten als Beschwörer vorstellen und nun diese Gabe, welche sie entweder verdienten oder sich anmaßten, unter Schaaren von Bewunderern mit prahlerischer Schaustellung kund geben; aber vergeblich! „Denn wer sich auf Lügen stützt, der weidet Winde, ja er folgt selbst fliegenden Vögeln.“ 3 Ohne Zweifel wird Diesen begegnen, was in den Sprüchwörtern gesagt ist: 4 „Wie Wind und Wolken und Regen gar sichtbar sind, so ist Einer, der sich rühmt mit einer falschen Gabe.“ Wenn also Jemand Etwas von solchen Dingen vor uns thut, so darf er nicht wegen der bewunderungswürdigen Zeichen uns lobwürdig sein, sondern wegen des Schmuckes seiner Sitten; und wir dürfen nicht fragen, ob ihm die Teufel unterworfen sind, sondern ob er die Bestandtheile der Liebe besitze, welche der Apostel aufzählt.