9. Von der vollendeten und wahren Vollkommenheit.
Aber das ist eine μερίκη, d. i. nicht die ganze und in Allem vollendete Vollkommenheit, sondern ein Theil derselben. Es ist also die Vollkommenheit selten und nur sehr Wenigen durch ein Geschenk Gottes verliehen. Denn Derjenige ist wahrhaft und nicht theilweise vollkommen, welcher sowohl in der Wüste die Rauhheit der Einöde als im Kloster die Schwächen der Brüder mit gleicher Großherzigkeit erträgt. Und daher ist es schwer, Einen zu finden, der in beiden Lebensweisen in Allem vollendet ist, weil weder der Anachorete die ἀκτημοσύνη, d. i. die Verachtung und Entblößung von allen zeitlichen Dingen, noch der Cönobite die beschauliche Reinheit vollständig erlangen kann, obwohl ich weiß, daß die Äbte Moses und Paphnutius, sowie die zwei Makarius Beides vollkommen besaßen. Diese waren in beiden Lebensweisen so vollkommen, daß, wenn sie über alle Bewohner der Wüste hinaus sich zurückzogen, uner- S. b253 sättlich die Stille der Einsamkeit genoßen und so viel an ihnen lag, durchaus keinen menschlichen Umgang suchten, sie doch den häufigen Besuch und die Schwächen der bei ihnen Zusammenströmenden so ertrugen, daß, wenn eine unzählige Menge von Brüdern des Besuches oder der Forderung wegen bei ihnen zusammenkam, sie diese fast beständige Unruhe der Aufnahme mit unerschütterlicher Geduld sich gefallen ließen und den Glauben erweckten, sie hätten in ihrer ganzen Lebenszeit nichts Anderes gelernt und geübt, als die gewöhnlichen Dienstleistungen für Ankömmlinge zu besorgen. So war es Allen zweifelhaft, in welchem Berufe ihr Eifer am größten sei, ob sich nemlich ihre Großherzigkeit wunderbarer in jene eremitische Reinheit oder in das gemeinschaftliche Leben füge.