22. Kap. Bekämpfung dieser Meinung.
S. 264 Wer dieses Zugeständnis macht, sollte erst über den Gebrauch dieser Vokabel nachdenken, was der Ausdruck Weib (mulier) von den ersten Zeilen der Hl. Schrift an bedeutet; denn da findet er, daß es die Benennung für das Geschlecht ist, nicht für eine Altersstufe des Geschlechtes. Gott hat nämlich die Eva, obwohl sie noch nichts vom Manne wußte, sowohl Weib als Frau genannt, Weib in Ansehung ihres Geschlechts allgemein, Frau als besondere Abart des Geschlechtes1. Und weil Eva damals noch unvermählt war trotz der Benennung Weib, so ist diese die gemeinschaftliche geworden auch für die Jungfrauen, Es ist auch kein Wunder, wenn der Apostel aus Antrieb eben desselben Geistes, in welchem, wie jedes Buch der göttlichen Schrift, so auch die Genesis abgefaßt ist, sich desselben Ausdrucks, der nach Analogie der Eva auch der Unvermählten und der Jungfrau zukommt, bedient und „Weib“ setzt. Das übrige trifft dann zusammen. Denn durch eben den Umstand, daß er die Jungfrauen nicht nennt, wie an einer ändern Stelle, wo er vom Heiraten spricht, gibt er genugsam zu erkennen, daß von jeder Weibsperson und vom ganzen Geschlecht die Rede sei, und in betreff der Jungfrauen, die er gar nicht nennt, kein Unterschied gemacht werde. Denn da er anderswo nicht vergißt zu unterscheiden, nämlich da, wo es die Verschiedenheit fordert - er unterscheidet aber beide Klassen, indem er jede mit ihrem Namen bezeichnet -, so will er da, wo er nicht unterscheidet und keine von beiden namentlich aufführt, auch keinen Unterschied gemacht wissen. Ferner in der griechischen Sprache, worin der Apostel seine Briefe schrieb, ist sowohl „Weib“ als „weibliches Geschlecht“ zu sagen in Gebrauch, sowohl γυναῖκας, als θηλείας. Wenn also dieses Wort häufig statt des Geschlechtsnamens vorkommt, so hat der Apostel, da es in der Übersetzung für „weibliches Wesen“ steht, mit dem Worte γυναῖκα das Geschlecht bezeichnet. Im ganzen Geschlecht ist aber die Jungfrau mit einbegriffen.
S. 265Aber der Ausspruch ist auch ganz deutlich: „Jedes Weib“, heißt es, „welches beim Beten und Prophezeien sein Haupt nicht bedeckt, verunehrt sein Haupt“, Was bedeutet der Ausdruck „jedes Weib“, wenn nicht die Weiber jedes Alters, jedes Standes, jeder Stellung? Wenn er sagt: Jedes, so nimmt er keine Person weiblichen Geschlechts aus, so wenig wie eine Person männlichen Geschlechts von dem Gebot, sich nicht zu verschleiern; denn er sagt ebenso: „Jeder Mann“. Wie also in Ansehung des männlichen Geschlechts mit dem Ausdruck Mann die Verschleierung auch des kleinsten Knaben verboten wird, so ist in Ansehung des weiblichen durch den Ausdruck Weib die Verschleierung auch der Jungfrau geboten. Bei beiden Geschlechtern muß in gleicher Weise das jüngere Alter der Ordnung des höhern folgen, oder es dürften auch die jungfräulichen Männer verschleiert werden, wenn die jungfräulichen Weiber nicht verschleiert werden; denn auch jenen wird keine namentliche Vorschrift gegeben. Wenn Frau und Jungfrau etwas verschiedenes ist, so müßte es auch Mann und Knabe sein. Denn es heißt, sie müssen sich „wegen der Engel“ verschleiern, weil nämlich die Engel um der Töchter der Menschen willen von Gott abfielen. Wer könnte also behaupten, die Frauen, d. h. die verheirateten, die bereits ihre Jungfrauschaft der Begierlichkeit zum Opfer gebracht haben, seien allein gemeint? Das ginge nur dann, wenn nicht auch die Jungfrauen imstande wären, durch ihre Schönheit zu glänzen und Liebhaber zu finden. Sehen wir vielmehr zu, ob nicht gerade die Jungfrauen allein Gegenstand des Begehrens waren, da die Schrift sich ausdrückt: „Töchter der Menschen“, während sie selbe ja Gattinnen der Menschen oder ganz unbestimmt Weibspersonen hätte nennen können. Auch daß sie sagt: „Und sie nahmen sie zu Gattinnen“2, das tut sie deswegen, weil nur solche zu Gattinnen genommen werden, welche ledig sind. Von nicht ledigen hätte sie anders gesprochen. Darum sind sie ledig sowohl hinsichtlich der Witwenschaft als der Jungfrauschaft. Indem sie das Geschlecht mit allgemeinem S. 266Ausdrucke „Töchter“ nennt, faßt sie in der Gattung die Arten zusammen.
Wenn es heißt, die Natur selbst lehre die Notwendigkeit der Verschleierung der Weiber, da sie ihnen das Haar als Decke und Schmuck angewiesen hat3, ist dann nicht ganz dieselbe Decke und Zierde des Hauptes den Jungfrauen angewiesen? Wenn es für ein Weib schimpflich ist, sich kahl zu scheren, dann ebenso gut für eine Jungfrau, Wo also die Beschaffenheit des Hauptes die gleiche ist, da wird gleiche Behandlung des Hauptes erfordert, auch hinsichtlich der Jungfrauen, bei denen es die Jugend zu verwehren scheint; denn vom ersten Augenblicke an heißt sie ein weibliches Wesen. So hält es z. B. auch das Volk Israel. Aber auch, wenn das nicht der Fall wäre, so würde unser Gesetz, da es ein erweitertes und vervollständigtes ist, einen Zusatz erheischen. Wer auch den Jungfrauen eine Verhüllung gibt, der möge als entschuldigt gelten. Nur das Alter, welches sein Geschlechtsverhältnis noch nicht kennt, möge noch ein Privileg seiner kindlichen Einfalt besitzen. Denn auch Eva und Adam bedeckten erst, als sie zur Erkenntnis kamen, sogleich das, was sie kennen gelernt hatten. Sicher aber müssen die, deren Kindheit bereits abgelaufen ist, wie die natürlichen, so auch die sittlichen Obliegenheiten ihrer Altersstufe vollziehen. Denn sie werden sowohl hinsichtlich ihrer Körperbildung als ihrer Pflichten zu den Weibern gezählt. Keine ist von dem Augenblicke an, wo sie heiratsfähig wird, noch Jungfrau, weil sie durch ihre Altersentwicklung schon ihrem Manne zur Ehe gegeben ist, d. h. der Zeit.
Aber die eine oder die andere verlobt sich Gott4. - S. 267Von der Zeit an trägt sie dann auch schon eine andere Haartour und ändert ihre ganze Tracht in die der Frauen. Sie sollte dann auch das Ganze beibehalten und ganz die Erscheinung einer Jungfrau darbieten; was sie aus Rücksicht auf Gott verbirgt, das sollte sie auch gänzlich verhüllen. Es ist zu unserem Vorteile, einzig dem Mitwissen Gottes anzuvertrauen, was die Gnade Gottes in uns bewirkt, damit wir nicht den Lohn, den wir erst von Gott hoffen, zum Teil von den Menschen hinnehmen. Warum entblößest du vor Gott5, was du vor den Menschen verschleierst? Willst du in der Kirche weniger eingezogen erscheinen als auf der Straße? Wenn es eine Gnade Gottes ist und du es empfangen hast, was prahlst du damit, als wenn du es nicht empfangen hättest6! Warum setzest du andere herunter, indem du dich zur Schau stellst? Oder willst du vielleicht die ändern durch dein Prahlen zum Guten aneifern7? Wenn du prahlst, so bist du in Gefahr und treibst die ändern in dieselbe Gefahr. Was man sich aus bloßer Liebe zur Prahlerei aneignet, das ist sehr hinfällig. Verschleiere dich wie eine Jungfrau, wenn du eine Jungfrau bist; denn du mußt erröten! Wenn du eine Jungfrau bist, so wolle nicht den Augen vieler ausgesetzt sein! Niemand möge bewundernd in dein Antlitz blicken, niemand von deiner List eine Ahnung haben. Es ist eine löbliche Verstellung, wenn du die Verheiratete spielst, wenn du dein Haupt verschleierst. Oder richtiger, es ist keine Verstellung; du bist nämlich Christo vermählt; ihm hast du deinen Leib zu eigen gegeben, handle nun auch der Anleitung deines Bräutigams entsprechend. Wenn er den Bräuten anderer sich zu verschleiern befiehlt, um wieviel mehr noch den seinigen! Aber der eine oder andere glaubt vielleicht, die Einrichtungen seines Amtsvorgängers nicht ändern zu dürfen; viele bringen ihre Einsicht und die Beharrlichkeit in derselben einer fremden Gewohnheit zum Opfer. S. 268Sie sollen nicht gezwungen werden, sich zu verhüllen. Aber sicher darf man die, welche es freiwillig tun, nicht daran verhindern8. Diese können ja doch nicht in Abrede stellen, daß sie auch Jungfrauen sind. Da sie sicher sind, von Gott gekannt zu werden, so sind sie's zufrieden, bei der Fama ein Mißverständnis zu bewirken9.
In betreff derer hingegen, welchen Bräutigamen zugesagt sind10, kann ich mit Bestimmtheit und mit höherem Ansehen, als meine Wenigkeit mir verleiht, versichern und bezeugen, daß sie von dem Tage an verschleiert werden müssen, an welchem sie zuerst vor dem Körper des Mannes, sei es bei Kuß oder Händedruck, erbebten. Denn bei solchen ist dann alles so gut wie schon verheiratet, das Alter durch die Geschlechtsreife, das Fleisch durch die Jahre, der Geist durch sein Wissen um die Sache, die Schamhaftigkeit durch den erhaltenen Kuß, die Hoffnung durch die Erwartung der Ehe und der Geist durch die Einwilligung. Als ein ausreichender Beleg dafür dient uns Rebekka, welche schon, nachdem ihr Bräutigam ihr bloß gezeigt worden, sich verhüllte, da sie ihn kennen lernte11.
1 Mos. 2,23. ↩
1. Mos. 6,2. ↩
1 Kor. 11,14. Das Verschleiern geschah bei den Alten meistens nur dadurch, dass man das Gewand von hinten her über den Kopf zog. Seltener war der Schleier ein eigenes Gewandstück, das flammeum. Auch dann hing er nur von oben über das Gesicht, aber nicht davor herunter. ↩
In diesem Abschnitt wendet sich Tertullian zu den virgines deo devotae, welche Jungfrauen sind, aber Christus zum Gemahl haben; nach seiner Anschauung nehmen sie eine Mittelstellung zwischen Frauen und Mädchen ein. Er ist der Ansicht, sie sollen sich in der Kirche auch verschleiern. ↩
also in der Kirche und beim Gebete. ↩
1 Kor. 4,7. ↩
Nämlich zur Nachahmung deines Beispieles, also auch deo devota zu werden. ↩
tertullian ist hier noch bescheiden. Wenn er seine eigentliche Absicht nicht durchsetzen und für die anderen geltend machen kann, ist er zufrieden, wenn man ihnen nicht verbietet, der seinigen zu folgen. In der Schrift De virg. Vel. Aber begnügt er sich nicht damit. Die Hinweisung auf die Einrichtung der Amtsvorgänger lässt vermuten, dass der derzeitige Bischof von Karthago die Forderung Tertullians nicht begünstigte. ↩
der überlieferte Text hat abuti in fama sua. Muratori setzt suae für sua, Oehler streicht das in. Die stelle bleibt trortdem dunkel. ↩
Also der Verlobten. ↩
1. Mos. 24,65. ↩
