1. Der Verfasser der Fulgentius-Vita
S. 37 Die Hauptquelle für das Leben und Wirken des hl. Fulgentius ist die von einem seiner Schüler verfaßte Biographie.
Da die zahlreichen Handschriften der Vita keine Angabe über den Verfasser enthalten, müssen wir uns über seine Persönlichkeit lediglich auf Grund der dürftigen Angaben unterrichten, die er in der Einleitung der Biographie über sich selbst macht. Er legt dort Fulgentius den Titel „magister egregius" bei, von dem er für das Klosterleben gewonnen wurde; für seine Arbeit beruft er sich darauf, daß er zusammen mit Felicianus, dem die Vita gewidmet ist, in dem von Fulgentius in Cagliari gegründeten Kloster gelebt, Tag und Nacht seine geistliche Unterweisung genossen und mit eigenen Augen seine Taten gesehen hat. Wir können weiter erschließen, daß der Autor der Lebensbeschreibung geborener Afrikaner ist, der befürchtet, daß, während die Schriften des Fulgentius überall mit Begeisterung gelesen werden, die Erinnerung an seinen heiligen Lebenswandel bei seinen Landsleuten und noch mehr bei den „transmarini" in Vergessenheit gerate, wenn sie nicht durch die von ihm in Angriff genommene Vita im Gedächtnis der Nachwelt festgehalten wird. Über eine bestimmte Persönlichkeit als Verfasser der Fulgentiusvita hat zum erstenmal F. Pithou1 eine Vermutung ausgesprochen, indem er den Diakon Ferrandus von Karthago als solchen bezeichnete. Mit Bestimmtheit hat Chifflet in seiner Ausgabe der Werke des Ferrandus2 S. 38 die Autorschaft des Diakons von Karthago behauptet, und ihm haben sich die späteren Gelehrten angeschlossen, sofern nicht einige die Frage für überhaupt unlösbar hielten. Als eine unumstößliche Tatsache der Wissenschaft jedoch konnte die Autorschaft des Ferrandus bis in die neueste Zeit hinein noch nicht gelten. So erkennen G. Ficker3 und H. Leclercq 4 die Verfasserschaft des Ferrandus nicht an, während Bardenhewer5 und Lapeyre6 sie als sicher, Jülicher7 und Krüger8 als fast sicher bezeichnen.
Die ausschlaggebende Stelle, auf Grund deren wir Ferrandus als den Biographen des Bischofs von Ruspe bezeichnen dürfen, befindet sich in dem von ihm an den Abt Eugippius von Lucullanum gerichteten Brief, in dem er diesem mitteilt, daß sich eine Lebensbeschreibung des Fulgentius in Vorbereitung befindet und er ihm nach der Fertigstellung einige Abschriften zuschicken wird. Chifflet kannte diesen Brief nur in Exzerpten, wobei das wichtige Eingangs- und Schlußkapitel fehlte,9 erst Mai hat zum ersten Male den Brief des Ferrandus an Eugippius nach einer Handschrift in Monte Cassino vollständig veröffentlicht.10 Die entscheidende Stelle lautet: „Vita vero eius si descripta fideliter fuerit, satis magna praebebit imitari cupientibus exempla virtutum. Sed hoc ora, domine frater, ut Deus... hoc fieri sinat et cum factum fuerit, mei erit officii exemplaria veriora dirigere." Gegen die Beweiskraft dieses Briefes könnte man wohl noch die Einwendung erheben, Ferrandus bezeichne sich nicht ausdrücklich als den Verfasser der Vita. Welchen Grund hätte er aber gehabt, sich die Arbeit eines anderen an- S. 39 zueignen? Und hätte er nicht in diesem Fall den Namen des Verfassers nennen müssen? Wichtig ist ferner, worauf Lapeyre 11 aufmerksam macht, die Übereinstimmung in der Mitteilung des Todes und der Bestattung des Fulgentius in der Vita und in dem Brief des Ferrandus an Eugippius. In der Vita heißt es: „Postremo die calendarum Januariarum post peractam vesperam beatum spiritum feliciter in manus Domini tradidit... Ipso autem die sanctum corpus eius sepeliri minime potuit... mane vero, post quam multitudo maxima populorum de locis finitimis ad exequias venit... sortitus est honorabile monumentum." In dem Brief an Eugippius wird der Tod und die Beisetzung mit den Worten beschrieben: „Dominus pater noster, scilicet Fulgentius, die calendarum Januar iarum temporalem carnis suae vitam beatis actibus gloriosam pretiosa morte mutavit et raptus de medio iniquitatis... ad aeternae laetitiae quietisque parata gaudia feliciter ambulavit. Verumtamen ipso die sepeliri minime potuit, inclinata quippe fuit in vesperum dies; mane ergo cum magna frequentia et honore sepultus est."
Geschrieben ist der Brief an Eugippius schon bald nach dem Tod des Fulgentius. Dies ergibt sich aus einer anderen Stelle, an welcher Ferrandus sich gegen die von Eugippius zuvor geäußerte Erwartung wendet, er, Ferrandus, werde Nachfolger des Fulgentius auf dem Bischofsstuhl von Ruspe werden. Demnach muß die Vita bald nach dem Tod des Fulgentius, also noch im Jahre 532, begonnen worden sein. Im letzten Kapitel wird die Weihe des Felicianus erwähnt, die am 1. Januar 533 stattfand. Möglicherweise ist die Vita bereits im Jahre 533 oder doch wenigstens bald darauf beendet worden.Daß Ferrandus ein besonders intimer Schüler des Bischofs von Ruspe gewesen ist, geht aus der Tatsache hervor, daß er von dem Comes Reginus gebeten wurde, die Anfrage über die Pflichten eines christlichen Generals zu beantworten, die Fulgentius selbst durch seinen Tod nicht mehr hatte beantworten können.12 S. 40
Daß zwischen Ferrandus und Fulgentius persönliche Beziehungen bestanden, sehen wir aus den in der Sammlung der fulgentianischen Briefe an IL und 13. Stelle stehenden beiden Briefen des Ferrandus an Fulgentius, auf die dieser im 12. und 14. Brief die erbetene Antwort erteilt, Fulgentius nennt hier Ferrandus einen dominus venerabilis et in Christi caritate plurimum desiderabilis, sanctus frater et condiaconus, während Ferrandus seinen Meister als dominus beatissimus et cum omni veneratione suscipiendus pater anredet, Lapeyre ist der Ansicht, Ferrandus sei Mönch im Kloster von Ruspe und vielleicht Sekretär des Fulgentius gewesen, den er in die erste Verbannung nach Sardinien begleitete; er sei seinem Herrn auch nach Karthago gefolgt, wo Fulgentius ihn zurückgelassen habe, als er zum zweitenmal den Weg ins Exil antrat, während nach Bardenhewers Ansicht Ferrandus auch die zweite Verbannung mit dem Heiligen teilte und erst unter der Herrschaft Hilderichs im Jahre. 523 mit ihm nach Afrika zurückkehrte. Über Vermutungen können wir in dieser Frage nicht hinauskommen.Von literarischen Werken besitzen wir aus der Feder des Ferrandus noch die bedeutsame Schrift: Breviatio canonum, eine systematische Zusammenstellung des damals geltenden Kirchenrechtes auf Grund der Bestimmungen griechischer und afrikanischer Konzilien, Unter seinen insgesamt sieben Briefen ist kirchengeschichtlich am interessantesten der sechste Brief, in dem er ein von den römischen Diakonen Pelagius und Anatolius erbetenes Gutachten über die Frage der drei Kapitel gibt und sich gegen ihre Verurteilung ausspricht. Im Winter 546/47 muß er gestorben sein, da er von Facundus von Hermione als ein Mann „laudabilis in Christo memoriae" genannt wird.13 S. 41
Alle bekannten Handschriften mit Ausnahme von dreien legen ihm nur den Namen Ferrandus bei, wie er auch stets in den Briefen des Fulgentius genannt wird. Der Doppelname Ferrandus Fulgentius, der ihm von Pithou und Chiff let beigelegt wurde, beruht auf einem Mißverständnis, Daß er Diakon der Kirche von Karthago war, wissen wir aus dem angeführten Schreiben des Bischofs Facundus. Ein Schriftsteller mit historischer Schulung ist Ferrandus nicht. Seine Fulgentius-vita ist unter die panegyrischen Heiligenleben nach Art der Antoniusbiographie des Ennodius von Pavia, der Vita Severins von Eugippius oder der Lebensbeschreibung des Caesarius von Arles zu zählen. Eine genaue Chronologie des Lebens des von ihm geschilderten Helden, eine Eingliederung seiner Lebensschicksale in die unruhige Geschichte seines Landes, eine lückenlose Aufzählung seiner Werke oder eine kritische Würdigung seiner wissenschaftlichen Bedeutung sucht man bei Ferrandus vergeblich. Er will vom moralischen und aszetischen Standpunkt aus eine Verherrlichung des von ihm mit warmer Liebe verehrten Meisters bieten, an dem sich die Leser ein Beispiel für das eigene Handeln nehmen sollen. Auch fehlt ihm die Fähigkeit, sich in die Psychologie eines Gegners der Kirche einzufühlen; so wirkt z.B. die Häufung mißgünstiger Epitheta für den König Thrasamund im 20. Kapitel der Vita sehr peinlich, In sprachlicher und stilistischer Hinsicht springt der Unterschied zwischen Ferrandus und Fulgentius deutlich in die Augen; dieser hat sich vor den Exzessen des berüchtigten tumor Africanus, des afrikanischen Schwulstes, viel mehr gehütet wie sein Schüler.
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Fulgentii Ferrandi Carthaginiensis ecclesiae diaconi Breviatio canonum. Paris 1588. ↩
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Fulgentii Ferrandi Carthaginiensis ecclesiae diaconi opera.Di Jon 1649, p. XX s. ↩
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Zur Würdigung der Vita Fulgentii, Zeitschr. f. Kircheng. XXI. Gotha 1900, S. 10. ↩
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L'Afrique chretienne. Paris 1904 II p. 204. ↩
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A. a. O. 316. ↩
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Vie de St. Fulgence. Paris 1929 p. LV. ↩
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Pauly-Wissowa, Real-Enz. VII S. 221 ↩
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Bei Schanz, Gesch. d. röm. Lit. IV 2 (1920) S. 573; Harnack-Ehrung S. 219 ff. In der letzteren Abhandlung betrachtet Krüger Ferrandus unbedenklich als Autor der Vita. ↩
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Der Brief ist abgedruckt bei ML. 67, 908—910. ↩
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Script, vet. nova coli. III 2, 183 sq. ↩
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Vie LVIII sq. ↩
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Ferrandus schreibt an Reginus: „Et ideo laudabili sollicitudine venerabilis memoriae Fulgentium pontificem Ruspensis ecclesiae rogasti, qualis tibi militaribus actibus occupato rcgula sit spiritalis propositi retinenda... unde adhuc disputans doctor ille egregius, antequam fideliter ratione fidei reddita de actibus militaribus cum pietate tractandis inciperet loqui, transivit ad aeternae beatituainis immortalia gaudia... importabilem sarcinam super humeros debiles ponis, ut me iubeas tanti viri quasi haereditarium debitum solvere." ML. 67, 929. ↩
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Pro defensione trium capitulorum 4, 3. ML. 67, 624. ↩