Edition
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Consolatio philosophiae
II.
[1] Vellem autem pauca te cum Fortunae ipsius verbis agitare. Tu igitur, an ius postulet, animadverte:
[2] «Quid tu, homo, ream me cotidianis agis querelis? quam tibi fecimus iniuriam? quae tibi tua detraximus bona? [3] Quovis iudice de opum dignitatumque mecum possessione contende et, si cuiusquam mortalium proprium quid horum esse monstraveris, ego iam tua fuisse, quae repetis, sponte concedam.
[4] Cum te matris utero produxit, nudum rebus omnibus inopemque suscepi, meis opibus fovi et, quod te nunc impatientem nostri facit, favore prona indulgentius educavi: omnium, quae mei iuris sunt affluentia et splendore circumdedi. [5] Nunc mihi retrahere manum libet; habes gratiam velut usus alienis, non habes ius querelae tamquam prorsus tua perdideris. [6] Quid igitur ingemescis? Nulla tibi a nobis est allata violentia. Opes, honores ceteraque talium mei sunt iuris. Dominam S. 38 famulae cognoscunt, mecum veniunt, me abeunte discedunt. [7] Audacter adfirmem, si tua forent, quae amissa conquereris, nullo modo perdidisses.
[8] An ego sola meum ius exercere prohibebor? Licet caelo proferre lucidos dies eosdemque tenebrosis noctibus condere, licet anno terrae vultum nunc floribus frugibusque redimire, nunc nimbis frigoribusque confundere. Ius est mari nunc strato aequore blandiri, nunc procellis ac fluctibus inhorrescere. Nos ad constantiam nostris moribus alienam inexpleta hominum cupiditas alligabit? [9] Haec nostra vis est, hunc continuum ludum ludimus: rotam volubili orbe versamus, infima summis, summa infimis mutare gaudemus. [10] Ascende, si placet, sed ea lege, ne, uti cum ludicri mei ratio poscet, descendere iniuriam putes.
[11] An tu mores ignorabas meos? Nesciebas Croesum regem Lydorum Cyro paulo ante formidabilem, mox deinde miserandum rogi flammis traditum misso caelitus imbre defensum? [12] Num te praeterit Paulum Persi regis a se capti calamitatibus pias impendisse lacrimas? Quid tragoediarum clamor aliud deflet nisi indiscreto ictu fortunam felicia regna vertentem? [13] Nonne adulescentulus δύο πίθους, τὸν μὲν ἕνα κακῶν τὸν δε ἕτερον ἑάων in Iovis limine iacere didicisti? [14] Quid, si uberius de bonorum parte sumpsisti, quid, si a te non tota discessi, quid, si haec ipsa mei mutabilitas iusta tibi causa est sperandi meliora, tamenne animo contabescas et intra commune omnibus regnum locatus proprio vivere iure desideres?»
Si quantas rapidis flatibus incitus
Pontus versat harenas,
Aut quot stelliferis edita noctibus
Caelo sidera fulgent,
Tantas fundat opes nec retrahat manum
Pleno copia cornu,
S. 40 Humanum miseras haud ideo genus
Cesset flere querelas.
Quamvis vota libens excipiat deus
Multi prodigus auri
Et claris avidos ornet honoribus,
Nil iam parta videntur,
Sed quaesita vorans saeva rapacitas
Alios pandit hiatus.
Quae iam praecipitem frena cupidinem
Certo fine retentent,
Largis cum potius muneribus fluens
Sitis ardescit habendi?
Numquam dives agit qui trepidus gemens
Sese credit egentem.»
Übersetzung
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Trost der Philosophie (BKV)
II.
Ich aber möchte ein wenig mit dir mit den Worten des Glückes selber verhandeln. Gib also acht, ob sie ihr Recht fordert: "Wessen, o Mensch, beschuldigst du mich mit deinen täglichen Klagen? Welch ein Unrecht haben wir dir getan? Welche Güter haben wir dir entzogen? Streite doch vor jedem beliebigen Richter mit mir über den Besitz der Schätze und Würden, und wenn du zeigst, daß irgend etwas hiervon Eigentum irgend eines Sterblichen sei, so will ich gern zugeben, daß was du zurückforderst, dein gewesen ist. Als dich die Natur aus dem Leib der Mutter zog, habe ich dich nackt, von allem entblößt aufgenommen, ich habe dich mit meinen Schätzen genährt und habe dich, was dich jetzt ungeduldig gegen mich macht, mit geneigter Gunst allzu nachsichtig erzogen, ich habe dich mit Überfluß und Glanz alles dessen, was nach Recht mir gehört, umgeben. S. 39 Jetzt beliebt es mir die Hand zurückzuziehen; du schuldest Dank gleichsam für den Gebrauch fremden Gutes, du hast kein Recht zur Klage, als ob du just das Deinige verloren hättest. Was also stöhnst du? Es ist dir von uns keine Gewalt widerfahren. Reichtum, Ehren und dergleichen stehen unter meiner Botmäßigkeit. Die Dienerinnen kennen die Herrin, sie kommen mit mir, sie gehen, wenn ich mich entferne. Ich will kühn behaupten, wenn die Dinge, deren Verlust du beklagst, dein gewesen wären, so hättest du sie auf keine Weise verloren. Soll ich allein verhindert werden mein Recht auszuüben? Dem Himmel ist es erlaubt, den hellen Tag herauf zu führen und ihn in dunkler Nacht zu verbergen, dem Jahre ist es erlaubt, das Antlitz der Erde jetzt mit Blumen und Früchten zu kränzen, jetzt mit Wolken und Kälte zu trüben. Des Meeres Recht ist es, bald mit glattem Spiegel zu schmeicheln, bald von Stürmen und Fluten zu erschaudern. Und uns soll zu einer Beständigkeit, die unserem Wesen fremd ist, die unersättliche Begier der Menschen binden? Dies ist unsere Macht, dies ununterbrochene Spiel spielen wir, wir drehen das Rad in kreisendem Schwunge, wir freuen uns das Tiefste mit dem Höchsten, das Höchste mit dem Tiefsten zu tauschen. Steige aufwärts, wenn es dir gefällt, aber unter der Bedingung, daß du es nicht für ein Unrecht hältst, herabzusteigen, wenn es die Regel meines Spiels fordert. Oder kanntest du meine Sitte nicht? Wußtest·du nicht, daß Krösus, der Lyderkönig, eben noch Cyrus furchtbar, bald darauf bejammernswert den Flammen des Scheiterhaufens überliefert und dann wieder durch einen vom Himmel gesandten Regen gerettet worden ist? Entging dir, daß Paulus dem Unglück des von ihm gefangenen Königs Perseus fromme Tränen gezollt hat? Was beweint der Weheruf der Tragödien anders als das Schicksal, das mit seinem Schlage ohne Unterschied glückliche Reiche umstürzt. Hast du nicht schon als Knabe gelernt,·daß "zwei Fässer, das eine mit Übeln, das andere mit Gutem" auf der Schwelle des Jupiter stehen? Wie, wenn du überreich von der Seite des Guten genommen hättest? Wie, wenn ich nicht ganz von dir gewichen wäre? Wie, wenn diese meineVeränderlichkeit selbst dir ein triftiger Grund wäre, Besseres zu hoffen? Also sieche nicht im Geist dahin und begehre nicht, nach eigenem Rechte zu leben, da du Platz genommen in einem Reiche, das allen gemein ist.
II. Wenn soviel wie an Sand aufwühlt die wilde See,
Wo der rasende Sturm tobt,
Wenn soviel als zur Nacht leuchtende Sterne ziehn
Hoch am Himmelsgewölbe,
Schätze streute das Glück, nimmer die Hand zurück
Zög vom Horne der Gaben,
S. 41 Niemals würdest du doch, elendes Menschengeschlecht,
Enden Jammer und Klagen.
Ob die Wünsche ein Gott freundlich und rasch erfüllt
Gold in Menge verschwendend
Und mit Ehren den Durst ihnen zu löschen sucht,
Nichts scheint ihnen geleistet:
Das Begehrte verschlingt schleunigst die wilde Gier,
Neu aufreißend den Rachen.
Welcher Zügel vermag jemals dem tollen Drang
Feste Grenzen zu setzen,
Da nur heftiger stets, reichlich im Überfluß
Brennt der Durst zu·besitzen?
Nie scheint jemand sich reich, wer nur zittert und zagt,
Wähnt sich immer bedürftig.