Edition
Hide
Consolatio philosophiae
V.
[1] An vero regna regumque familiaritas efficere potentem valet? Quidni, quando eorum felicitas perpetuo perdurat? [2] Atqui plena est exemplorum vetustas, plena etiam praesens aetas, qui reges felicitatem calamitate mutaverint. O praeclara potentia, quae ne ad conservationem quidem sui satis efficax invenitur!
[3] Quodsi haec regnorum potestas beatitudinis auctor est, nonne, si qua parte defuerit, felicitatem minuat, miseriam importet? [4] Sed quamvis late humana tendantur imperia, plures necesse est gentes relinqui, quibus regum quisque non imperet. [5] Qua vero parte beatos faciens desinit potestas, hac impotentia subintrat, quae miseros facit; hoc igitur modo maiorem regibus inesse necesse est miseriae portionem.
[6] Expertus sortis suae periculorum tyrannus regni metus pendentis supra verticem gladii terrore simulavit. [7] Quae est igitur haec potestas, quae sollicitudinum morsus expellere, quae formidinum aculeos vitare nequit?
Atqui vellent ipsi vixisse securi, sed nequeunt; dehinc de potestate gloriantur. [8] An tu potentem censes, quem videas velle, quod non possit efficere? Potentem censes, qui satellite latus ambit, qui, quos terret, ipse plus metuit, qui ut potens esse videatur, in servientium manu situm est?
[9] Nam quid ego de regum familiaribus disseram, cum regna ipsa tantae imbecillitatis plena demonstrem? Quos quidem regia potestas saepe incolumis, saepe autem lapsa prosternit. [10] Nero Senecam familiarem praeceptoremque suum ad eligendae mortis coegit arbitrium, Papinianum diu inter aulicos potentem militum gladiis Antoninus obiecit. [11] Atqui uterque potentiae suae renuntiare voluerunt, quorum Seneca S. 82 opes etiam suas tradere Neroni seque in otium conferre conatus est; sed dum ruituros moles ipsa trahit, neuter quod voluit, effecit.
[12] Quae est igitur ista potentia, quam pertimescunt habentes, quam nec cum habere velis, tutus sis et, cum deponere cupias, vitare non possis?
[13] An praesidio sunt amici, quos non virtus, sed fortuna conciliat? Sed quem felicitas amicum fecit, infortunium faciet inimicum. [14] Quae vero pestis efficacior ad nocendum quam familiaris inimicus?
Qui se volet esse potentem,
Animos domet ille feroces
Nec victa libidine colla
Foedis summittat habenis.
Etenim licet Indica longe
Tellus tua iura tremescat
Et serviat ultima Thyle,
Tamen atras pellere curas
Miserasque fugare querelas
Non posse potentia non est.
Translation
Hide
Trost der Philosophie (BKV)
V.
Oder vermag Königsherrschaft, Königsfreundschaft mächtig zu machen? Warum soll sie es nicht, wenn ihr Glück beständig dauert? Jedoch die alte Zeit ist ebenso wie die Gegenwart voller Beispiele, wieviele Könige das Glück mit dem Elend vertauscht haben. O herrliche Macht, die nicht einmal wirksam genug erfunden wird, sich selbst zu erhalten! Und wenn nun diese königliche Gewalt die Quelle der Glückseligkeit ist, würde sie dann nicht, wenn sie irgendwo nicht ist, das Glück verringern und Unglück bringen? Aber wie weit sich auch menschliche Königreiche erstrecken, mehr Völker müssen doch übrigbleiben, über die Könige nicht herrschen. Wenn aber irgendwo die Macht, die sie beglückt, aufhört, da muß Ohnmacht eintreten, die sie elend macht. So müßten also Könige mehr Anteil am Elend als am Glück haben. Der Tyrann, der die Gefahren seines Schicksalloses erprobt hat, versinnbildlicht die Angst des Herrschers durch den Schrecken des Schwertes, das beständig über seinem Scheitel schwebt. Was ist das also für eine Gewalt, welche die nagende Sorge nicht vertreiben, dem Stachel der Angst nicht entgehen kann? Selbst wenn sie sorglos leben wollten, sie könnten es nicht. Und dieser Macht rühmen sie sich! Oder schätzest du etwa den für mächtig, der sichtlich das will, was er nicht vollführen kann? Hältst du den für mächtig, der sich mit Trabanten umgibt, der die, welche er schreckt, selber noch mehr fürchtet, der um mächtig zu erscheinen, sich in die Hand seiner Diener begibt? Was soll ich nun erst über die Vertrauten der Könige reden, wenn ich beweise, daß die Königsherrschaft so voll Gebrechlichkeit ist? Jene werden von der königlichen Gewalt ebenso oft gestürzt, wenn diese fest bleibt, wie wenn sie wankt. Nero zwang seinen Vertrauten und Lehrer Seneca dazu, sich selber die Todesart zu wählen. Den Papinianus, der lange unter den Höflingen mächtig war, gab Antoninus den Schwertern der Soldaten preis. Und doch hätten beide gern auf ihre Macht S. 83 verzichtet, Seneca versuchte sogar seine Schätze Nero zu überlassen und sich in die Stille zurückzuziehen, aber da die Stürzenden ihr eigenes Schwergewicht abwärts zieht, erreichte keiner seinen Wunsch. Was ist das also für eine Macht, die der Besitzende fürchtet und nicht sicher ist, sie zu bewahren, der man nicht ausweichen kann, auch wenn man sie niederlegen möchte? Oder sind etwa Freunde, welche nicht die Tugend gewinnt, sondern das Glück, ein Schutz? Wen dir nur das Glück zum Freunde gemacht hat, den wird das Mißgeschick dir zum Feinde machen. Welche Seuche aber ist schädlicher als ein Feind, der dein Vertrauter war?
V. Wer mächtig zu werden begehret,
Der zügle die Zornesgedanken,
Den Nacken beuge er nimmer
Ins schimpfliche Joch der Begierden.
Denn mögen auch Indiens Länder
Erzittern vor deinen Geboten,
Das äußerste Thule dir dienen,
Kannst du die verdüsternde Sorge,
Die jammernde Klage nicht bannen,
Ist all dieses Macht nicht zu nennen.