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Consolatio philosophiae
I.
S. 158 [1] Dixerat orationisque cursum ad alia quaedam tractanda atque expedienda vertebat. [2] Tum ego: Recta quidem, inquam, exhortatio tuaque prorsus auctoritate dignissima, sed quod tu dudum de providentia quaestionem pluribus aliis implicitam esse dixisti, re experior. [3] Quaero enim, an esse aliquid omnino et quidnam esse casum arbitrere.
[4] Tum illa: Festino, inquit, debitum promissionis absolvere viamque tibi, qua patriam reveharis, aperire. [5] Haec autem etsi perutilia cognitu, tamen a propositi nostri tramite paulisper aversa sunt verendumque est, ne deviis fatigatus ad emetiendum rectum iter sufficere non possis.
[6] Ne id, inquam, prorsus vereare. Nam quietis mihi loco fuerit ea, quibus maxime delector, agnoscere; [7] simul, cum omne disputationis tuae latus indubitata fide constiterit, nihil de sequentibus ambigatur.
[8] Tum illa: Morem, inquit, geram tibi, simulque sic orsa est: Si quidem, inquit, aliquis eventum temerario motu nullaque causarum conexione productum casum esse definiat, nihil omnino casum esse confirmo et praeter subiectae rei significationem inanem prorsus vocem esse decerno. Quis enim coercente in ordinem cuncta deo locus esse ullus temeritati reliquus potest? [9] Nam nihil ex nihilo exsistere vera sententia est, cui nemo umquam veterum refragatus est, quamquam id illi non de operante principio, sed de materiali subiecto hoc omnium de natura rationum quasi quoddam iecerint fundamentum. [10] At si nullis ex causis aliquid oriatur, id de nihilo ortum esse videbitur. Quodsi hoc fieri nequit, ne casum quidem huius modi esse possibile est, qualem paulo ante definivimus.
[11] Quid igitur, inquam, nihilne est, quod vel casus vel fortuitum iure appellari queat? An est aliquid, tametsi vulgus lateat, cui vocabula ista conveniant?
[12] Aristoteles meus id, inquit, in Physicis et brevi et veri propinqua ratione definivit.
Quonam, inquam, modo?
[13] Quotiens, ait, aliquid cuiuspiam rei gratia geritur aliudque quibusdam de S. 160 causis, quam quod intendebatur, obtingit, casus vocatur; ut, si quis colendi agri causa fodiens humum defossi auri pondus inveniat, [14] hoc igitur fortuito quidem creditur accidisse. Verum non de nihilo est, nam proprias causas habet, quarum inprovisus inopinatusque concursus casum videtur operatus. [15] Nam nisi cultor agri humum foderet, nisi eo loci pecuniam suam depositor obruisset, aurum non esset inventum. [16] Hae sunt igitur fortuiti causae compendii, quod ex obviis sibi et confluentibus causis, non ex gerentis intentione provenit. [17] Neque enim vel qui aurum obruit vel qui agrum exercuit, ut ea pecunia reperiretur, intendit; sed uti dixi, quo ille obruit, hunc fodisse convenit atque concurrit. [18] Licet igitur definire casum esse inopinatum ex confluentibus causis in his, quae ob aliquid geruntur, eventum. [19] Concurrere vero atque confluere causas facit ordo ille inevitabili conexione procedens, qui de providentiae fonte descendens cuncta suis locis temporibusque disponit.
Rupis Achaemeniae scopulis, ubi versa sequentum
Pectoribus figit spicula pugna fugax,
Tigris et Euphrates uno se fonte resolvunt
Et mox abiunctis dissociantur aquis.
Si coeant cursumque iterum revocentur in unum,
Confluat, alterni quod trahit unda vadi;
Convenient puppes et vulsi flumine trunci
Mixtaque fortuitos implicet unda modos,
Quos tamen ipsa vagos terrae declivia casus
Gurgitis et lapsi defluus ordo regit.
Sic, quae permissis fluitare videtur habenis,
Fors patitur frenos ipsaque lege meat.
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Trost der Philosophie (BKV)
I.
S. 159 So hatte sie gesprochen und schon wandte sie sich, um andres zu behandeln und zu entwickeln. Da sagte ich: Richtig ist deine Ausführung und durchaus deiner Autorität würdig, was du aber vor kurzem über die Frage der Vorsehung gesagt hast, daß sie in sehr vielem andern enthalten sei, damit möchte ich eine Probe machen. Ich frage nämlich, um zu ergänzen, ob irgend etwas überhaupt sein könne, was wir Zufall nennen, und was es denn sei. – Darauf sagte sie: Ich eile, die Schuld meines Versprechens zu lösen und dir den Weg zur Rückkehr in dein Vaterland zu öffnen, doch ist zu fürchten, daß, obschon die Erkenntnis außerordentlich nützlich ist, sie dennoch von dem von uns eingeschlagenen Wege etwas abführt, so daß du von dem Umweg ermüdet und den rechten Weg zu durchmessen nicht mehr imstande sein wirst. – Das ist durchaus nicht zu fürchten, sagte ich, denn das zu erkennen, was mich aufs höchste beglückt, wird mir statt des Ausruhens dienen; überdies, da ja jeder Teil deiner Ausführungen von unbedingtem Vertrauen gestützt worden ist, so möge auch nichts von dem folgenden zweideutig bleiben. – Da sprach sie: Ich tue nach deinem Willen, und begann sogleich. Wenn jemand den Zufall so bestimmen wollte, daß ein Ereignis durch eine Bewegung von Ungefähr und nicht durch irgend eine Verknüpfung von Ursachen hervorgebracht wird, so behaupte ich, daß es überhaupt keinen Zufall gibt und erkläre, daß außer der Bezeichnung für ein untergelegtes Ding es ein durchaus leeres Wort sei. Denn wo kann, wenn das All der Ordnung gemäß von Gott umschlossen ist, irgend ein Ort für das Ungefähr übrig bleiben? Wenn es ein wahrer Ausspruch ist, den wohl niemand von den Alten bestritten hat, daß aus nichts nichts entstehen kann, obgleich es nicht von dem schaffenden Prinzip, sondern von der gegenständlichen Materie stammt, so legt das gleichsam von Natur das Fundament aller Beweisführungen. Wenn aber etwas ohne Ursachen entstehen kann, so könnte es scheinen, als ob es aus nichts entstehe. Wenn aber geleugnet wird, daß das geschehen kann, so ist es unmöglich, daß es irgendwie einen Zufall gibt, wie wir ihn kurz vorher bestimmt haben. – Wie also, sagte ich, gibt es nichts, was mit Recht sei es Zufall, sei es Ungefähr genannt werden könnte? Oder gibt es etwas, das doch, wenn auch der gemeinen Menge verborgen, auf diese Worte paßt? – Mein Aristoteles hat dies in der Physik mit kurzem und der Wahrheit am nächsten kommendem Beweis so umgrenzt. – Auf welche Weise? fragte ich. – Er sagt, wenn etwas um irgend einer Sache willen ausgeführt wird und aus irgend welchen S. 161 Ursachen etwas anders eintrifft als beabsichtigt war, so wird das oft Zufall genannt; so, wenn jemand den Erdboden durchgräbt, um den Acker zu bebauen und eine Last vergrabenen Goldes findet, dann glaubt er, das sei irgendwie von ungefähr geschehen. In Wahrheit ist das nicht grundlos so, denn es hat seine eigenen Ursachen, als Zufall aber erscheint das unvorhergesehene, unbeabsichtigt wirksame Zusammentreffen von Ursachen. Denn wenn der Bauer den Acker nicht umgegraben hätte, und wenn der Eigentümer nicht an diesem Orte seinen Schatz vergraben hätte, so wäre das Gold nicht gefunden worden. Hier also liegt die Ursache des zufälligen Gewinns darin, daß er aus Ursachen, die für ihn günstig zusammentrafen, und nicht aus einer beabsichtigten Handlung herrührte. Denn weder, wer das Gold vergrub, noch der den Acker bearbeitete, beabsichtigte, daß das Gold gefunden werden sollte; aber wie ich gesagt habe, traf überein und zusammen, daß wo jener eingrub, dieser ausgrub. So muß also bestimmt werden: Zufall ist der aus einem Zusammentreffen von Ursachen unvermutete Erfolg von etwas, das zu irgend einem Zweck unternommen wurde. Daß aber die Ursachen so zusammentreffen und zusammenfließen können, macht jene Ordnung, die aus unvermeidlicher Verknüpfung hervorgeht und die aus der Quelle der Vorsehung fließend alles an den ihm gemäßen Ort stellt.
I. Vom achaemenischen Fels, wo trügerisch fliehend der Parther
Rückgewandt mit dem Pfeil trifft des Verfolgers Brust,
Dort entspringen dem Quell gemeinsam Euphrat und Tigris.
Doch nach kurzem getrennt, fließen die Wasser entzweit.
Wenn dann aufs neue ihr Lauf sich wieder zu einem verbindet,
Strömt zusammen in eins, was beider Welle geführt,
Schiffe begegnen sich und Stämme, gewälzt in der Strömung,
Und was von ungefähr sich mit den Wogen vermischt.
Aber ihr schwankender Fall folgt nur der Neigung der Erde,
Und in Wirbel und Sturz herrschet der Strömung Gesetz.
Was so als Zufall scheint mit schleifendem Zügel zu fließen,
Trägt geduldig den Zaum nach seinem eignen Gesetz.