III.
Darauf sagte ich: Nun bin ich in noch schwierigere Ungewißheit verstrickt. – Wie das? sprach sie, aber ich ahne schon, wodurch du verwirrt bist. – Durchaus entgegengesetzt und zuwider scheint es mir zu sein, daß Gott das Universum vorausschaut und daneben irgend ein freier Wille sei; denn wenn Gott das All durchschaut und auf keine Weise irren kann, so muß daraus notwendig hervorgehen, daß die Vorsehung voraussieht, was künftig sein wird. Deshalb wenn sie von Ewigkeit nicht nur die Taten der Menschen, S. 165 sondern auch Absichten und Willen voraus weiß, so gibt es keine Freiheit des Willens; denn nicht nur kann keine Tatsache beliebig anders geschehen, noch kann ein Wille sein, den die göttliche Vorsehung nicht unfehlbar voraus weiß. Denn wenn etwas anders gewandt werden kann als vorausgesehen war, dann ist das Vorauswissen der Zukunft nicht fest, sondern mehr eine ungewisse Meinung, was ich von Gott zu glauben für ein Unrecht halte. Auch billige ich nicht die Gründe jener, die da glauben, den Knoten dieser Frage lösen zu können, sie sagen nämlich: Nicht deshalb wird etwas geschehen, weil die Vorsehung vorausgesehen hat, was geschehen wird, sondern im Gegenteil vielmehr, weil etwas geschehen wird, kann es der göttlichen Vorsehung nicht verborgen bleiben, und auf die Weise gleitet die Notwendigkeit auf den andern Teil hinüber; nicht ist nämlich notwendig, daß geschieht, was vorausgesehen wurde, sondern es ist notwendig, daß das, was zukünftig geschehen wird, vorausgesehen wird; gewissermaßen als ob es sich darum handle, welches die Ursache eines Dinges ist, das Vorauswissen der Notwendigkeit des Zukünftigen, oder die Notwendigkeit der Voraussicht des Zukünftigen, und nicht vielmehr, was wir zu beweisen erstreben, daß, was auch immer die Ordnung der Ursachen sei, notwendig ist der Eintritt der vorausgesehenen Dinge, selbst wenn das Vorauswissen in die zukünftigen Dinge eine Notwendigkeit ihres Eintretens nicht hineinzutragen scheint. Denn, wenn irgend wer sitzt, so muß die Meinung, welche aussagt, daß er sitzt, notwendig wahr sein; das Umgekehrte aber, wenn jemand die wahre Meinung hat, daß jemand sitzt, so muß er auch notwendig sitzen. Beiden Fällen wohnt also Notwendigkeit inne; hier dem Sitzen, dort der Wahrheit, aber nicht sitzt jemand, weil die Meinung wahr ist, sondern sie ist vielmehr wahr, weil das Sitzen vorausgeht. Wenn auch die Ursache der Wahrheit aus dem andern Teile hervorgeht, so wohnt doch beiden gemeinsam die Notwendigkeit inne.
Ähnlich kann über die Vorsicht und die zukünftigen Dinge geschlossen werden. Denn wenn diese auch deshalb vorgesehen werden, weil sie geschehen werden, nicht aber deshalb geschehen, weil sie vorausgesehen werden, so ist es nichtsdestoweniger notwendig, daß von Gott die künftigen vorausgeschaut werden, wie auch daß die vorausgeschauten eintreten als vorausgeschaute, und das ist allein genug, um die Freiheit des Willens zu vernichten. Aber ist es nicht ganz verkehrt, das Eintreffen zeitlicher Dinge die Ursache der ewigen Vorsicht zu nennen? Denn wenn man urteilt, daß Gott die Zukunft deshalb voraussähe, weil sie eintreffen werde, was heißt das anders als meinen, daß das, was einst geschehen werde, die Ursache der höchsten Vorsehung sei? Und da das, was ich weiß, daß es ist, auch notwendig ist, so ist das, was ich als zukünftig kenne, auch selbst notwendig zukünftig; so geschieht es also, daß das Kommen vorausgewußter Dinge S. 167 nicht vermieden werden kann. Endlich, wenn jemand meint, etwas könne anders sein als es sich wirklich verhält, so ist das nicht nur kein Wissen, sondern eine falsche Meinung, die weit entfernt von dem Wissen um die Wahrheit ist. Deshalb, wenn etwas Zukünftiges geschähe, dessen Eintreffen nicht sicher und notwendig ist, wer könnte dann vorauswissen, daß es eintreffen wird? So wie das Wissen selbst mit Falschem nicht vermischt sein kann, so kann auch das, was von ihm erfaßt wird, nie anders sein, als es erfaßt wird. Das nämlich ist die Ursache, weshalb die Lüge des Wissens entbehrt, weil es notwendig ist, daß sich eine Sache so verhält, wie das Wissen sie begreift. Wie also? Auf welche Weise sieht Gott eine unsichere Zukunft voraus? Denn wenn er das für unvermeidlich eintreffend hält, was möglichweise auch nicht eintreffen könnte, so würde er sich irren, was ebenso unrecht zu denken wie auszusprechen ist. Also, wenn er beschließt, daß die zukünftigen Dinge so sein werden, wie sie sind, und erkennen würde, daß sie sowohl geschehen wie nicht geschehen können, was ist dann dieses Vorauswissen, das nichts Sicheres und nichts Festes umgreift? Oder was ist das anders als die lächerliche Prophezeiung jenes Teiresias: „Was ich sage, geschieht oder geschieht auch nicht.“ Worin würde die göttliche Vorsehung der menschlichen Meinung überlegen sein, wenn sie, ebenso wie die Menschen, das als ungewiß beurteilte, dessen Eintreffen ungewiß ist? Da aber bei dieser sichersten Quelle aller Dinge nichts ungewiß sein kann, so ist auch das Eintreffen der Dinge sicher, die jene als zukünftig fest vorausgewußt hat. Deshalb gibt es für menschliche Einsicht und menschliche Taten keine Freiheit, wenn sie der göttliche Geist ohne Irrtum und Falschheit insgesamt durchschaut, in eins zusammenfaßt und zum Eintreffen zwingt. Dies einmal zugegeben, ist klar, welch ein großer Zusammensturz der menschlichen Dinge daraus folgt. Umsonst nämlich wird ein Lohn des Guten oder eine Strafe des Bösen in Aussicht gestellt, sie hat ja keine freie und willentliche Bewegung des Geistes verdient. Und alles erscheint unbillig, was jetzt für billig gehalten wird, sowohl daß die Unredlichen bestraft werden, wie daß die Redlichen belohnt werden, die beide nicht der eigne Wille zu dem einen oder zu dem andern führt, sondern die sichere Notwendigkeit des Kommenden zwingt. Also nicht Laster oder Tugend sind etwas, sondern nur noch eine ununterscheidbare, wirre Vermischung aller Verdienste. Nichts Frevelhafteres läßt sich ausdenken, wie dies: Da die ganze Ordnung der Dinge sich von der Vorsehung herleitet, so geschieht es, da ja nichts den menschlichen Ratschlüssen frei steht, daß auch unsere Laster sich auf den Urheber alles Guten berufen können. So gibt es keinen Vernunftgrund, weder etwas zu hoffen, noch etwas zu erbitten. Wer denn wird etwas erhoffen oder erbitten, wenn alles Wünschenswerte durch eine unbrechbare Kette verknüpft ist? Zerrissen wird S. 169 also jener einzige Verkehr zwischen Gott und den Menschen, nämlich die Hoffnung und das Gebet. Und wenn wir als Lohn echter Demut den unschätzbaren Wechselverkehr mit der göttlichen Gnade verdienen, was doch die einzige Art ist, wie Menschen sich mit der Gottheit unterreden können, so werden wir kraft des Gebetes früher mit jenem unerreichbaren Lichte verbunden sein, als wir Erhörung finden. Wenn aber, die Notwendigkeit alles Zukünftigen angenommen, jene keine Kraft haben sollen, wer wird es sein, dem wir als dem höchsten Ursprung der Dinge uns verbunden fühlen und anhängen können? Deshalb wird das menschliche Geschlecht notwendig, wie du noch eben gesungen hast, getrennt und unverbunden mit seiner Quelle ermatten.
III. Welcher Zwiespalt löste der Dinge
Festes Bündnis? Und welch ein Gott nur
Regt den Streit auf der Doppelwahrheit,
Daß, was einzeln stückweis sich anpaßt,
Sich einander gemischt nicht verbindet?
Oder ist kein Zwiespalt der Wahrheit?
Hängt auch das einzeln Sichre zusammen?
Schaut der Geist nur in stumpfe Glieder
Eingebettet, gesenkten Blickes
Nicht der Dinge zarte Verknüpfung?
Doch, was glüht er voll Eifer zu finden
Die verdeckte Kenntnis der Wahrheit?
Weiß er, was ängstlich er strebt zu wissen?
Doch wer sucht wohl bekannte Kenntnis?
Weiß er nicht? Wer strebt wohl nach Blindem,
Wer wird Ungewußtes sich wünschen?
Wer vermag Unbekanntem zu folgen?
Und wer kann, auch wenn er gefunden,
Unbekannte Gestalt erkennen?
Hat vordem, als das Höchste er schaute,
Er das Ganze gekannt samt der Teile?
Jetzt gehüllt in der Glieder Wolke
Hat er nicht völlig seiner vergessen,
Er hält das Ganze, verlor nur die Teile.
So schwankt ein jeder, suchend die Wahrheit,
Keinem gehört sie ganz, weiß nicht alles
Und ist völlig getrennt nicht vom Wissen.
S. 171 Aber gedenkt er des bleibenden Ganzen,
Sucht er erhobenen Blicks das Verborgene,
Daß die vergessenen Teile er wieder
Füge zum Ganzen.