Einleitung
S. 67 In der Schrift „Vom Zorne Gottes“, die nach den „Göttlichen Unterweisungen“ verfaßt und wie das Werk „Von den Todesarten der Verfolger“ dem Bekenner Donatus gewidmet ist, behandelt Laktantius eine Frage, die für die Religion und für den geordneten Bestand des menschlichen Lebens von grundlegender Bedeutung ist, ob die Gottheit zürne, d. h. ob es eine belohnende und strafende Gerechtigkeit Gottes gebe 1. Das Werk richtet sich zunächst gegen die Epikureer, die der Gottheit Zorn und Gnade und jede Sorge um die menschlichen Dinge absprachen, und gegen die Stoiker, welche der Gottheit den Zorn absprachen und die Gnade beließen. An die Untersuchung vom Zorne knüpft sich dann eine Reihe der wichtigsten Fragen: „Wie ist die Welt entstanden? Hat das zufällige Zusammentreffen der Atome sie gebildet? Ist sie plötzlich aus sich selbst geworden, oder ist sie von Gott geschaffen worden? Und wenn sie von Gott geschaffen ist, welcher Gedanke hat dann die Gottheit bei der Schöpfung geleitet? Und wenn die Welt, wie die Stoiker sagen, um der Menschen willen geschaffen ist, weil alles dem Menschen zum Gebrauche dient, was hat dann der Mensch selbst für eine Bestimmung und Aufgabe?“ Hier sei die alte Philosophie verstummt und verdiene darum nicht den Namen Weisheit, weil sie die wichtigsten Fragen des menschlichen Lebens nicht zu beantworten wußte. Hier müsse die göttliche Offenbarung der menschlichen Unzulänglichkeit zu Hilfe kommen, die uns lehrt, daß die Welt und der Mensch darum geschaffen sei, daß der Mensch Gott als seinen Schöpfer und Herrn fürchte und ehre, Gott als seinen Vater und Fürsorger liebe, den Nebenmenschen als Bruder liebe S. 068 und so sein einziges Ziel, zu dem er geschaffen ist, die selige Unsterblichkeit bei Gott erlange!
Nachdem dann der Verfasser eine Reihe von Einwänden zurückgewiesen hat, wie diesen: Woher kommt denn das viele Böse, wenn die Welt um der Menschen willen geschaffen ist? Warum verbietet Gott dem Menschen den Zorn, wenn Gott selbst zürnt? Nachdem er den Unterschied zwischen dem menschlichen Zorn und der göttlichen Langmut beleuchtet und seinen Hauptsatz, daß Gott zürne, durch Aussprüche der Sibyllen bekräftigt hat, schließt er mit der Ermahnung, immer so zu leben, „daß wir stets Gottes Gnade an uns erfahren und niemals Gottes Zorn zu befürchten haben“. Die Schrift wird wegen des Reichtums der Gedanken und der Schönheit der Sprache schon vom hl. Hieronymus gerühmt.
Kap. 1—8. Der Verfasser erweist gegen Stoiker und Epikureer, daß in Gott Zorn und Gnade sein müsse, weil mit der Aufhebung der Furcht vor Strafe und der Hoffnung auf Belohnung auch alle Gottesverehrung aufgehoben würde.
Kap. 9—11. Alle früheren Philosophen glaubten an Gott und seine Vorsehung; erst spätere leugneten die Vorsehung und dachten sich das Weltall durch zufälliges Zusammentreffen von Atomen entstanden.
Kap. 12—18. Alles ist zum Gebrauche der Menschen erschaffen, die Menschen selbst aber zum Dienste Gottes und zur Gerechtigkeit. Denen, die Gottes Gesetz beobachten, muß Gott gnädig sein, und denen, die es mißachten, muß er zürnen. Denn würde Gott um nichts sich kümmern, so wäre in ihm eine Ruhe, die dem Tode gleichkäme.
Kap. 19—23. Im Menschen ist der Widerstreit zwischen dem Leibe, dem Sitz der Sünde, und der unsterblichen Seele. Darum ist in Gott auch Erbarmen und Langmut; sein Zorn kann durch Besserung abgewendet werden. Zeugnisse der Sibyllen. Mahnung, immer so zu leben, daß wir immer Gottes Gnade zu erfahren und nie Gottes Zorn zu fürchten haben.
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Vgl. Über das Problem M. Pohlenz, Vom Zorne Gottes, Göttingen 1909. ↩