§ 1. Das Leben Makarius’ des Ägypters.
S. 05 Makarius der Ägypter, auch der Ältere oder der Große genannt, zählt zu den Altvätern des Mönchtums, die im vierten Jahrhundert in der Wüstenwildnis Ägyptens wie Friedenssterne einer ruhelosen, zuckenden Welt leuchteten. Ihr Vollkommenheitswandel und Heiligkeitsstreben übte einen wundersamen Zauber auf die Zeitgenossen aus, Tausenden von Gottsuchern und Wahrheitsringern waren sie Licht und Kraft und Leben.
Über Makarius berichten Palladius1, der ein Jahr nach dessen Tode in Ägypten mit Makariusschülern zusammentraf, Rufinus2, Sokrates und Sozomenus. Für die ersten dreißig Lebensjahre des Makarius sind die einzige Quelle die in mehreren Rezensionen vorliegenden Apophthegmata Patrum3, Sammlungen von Aussprüchen der Patriarchen des Mönchtums, die in ihrer ersten Gestalt ins vierte und fünfte Jahrhundert hinaufreichen. Schon Evagrius Pontikus, ein vertrauter Schüler und Gefährte des Makarius, hat solche Apophthegmen gesammelt.
Makarius der Ägypter wurde um das Jahr 3004 in einem Dorfe Oberägyptens5 geboren. Er scheint in einfachen, ja dürftigen Verhältnissen aufgewachsen zu sein. Eine lebensernste, tief religiöse Natur, wählte er den Asketenstand. Er zog sich in eine Zelle in der Nähe eines oberägyptischen Dorfes zurück. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich durch Korbflechten. Um das Jahr 330 flüchtete er in die nördlich gelegene sketische Wüste, um hier in wildschauerlicher Einsamkeit als Anachoret zu leben6. Von dem nach dem Natrontal benannten und im vierten Jahrhundert wegen seiner Mönchskolonien hochberühmten nitrischen Gebirge aus, das einige sechzig englische Meilen südwärts von Alexandrien lag, erstreckte sich nach Nordosten bis zum Nil hin eine grauenvolle Einöde, die von dem Orte Skete ihren S. 06 Namen trug. Sechzig Jahre lang7 lebte hier Makarius in unablässigem Gebet und Fasten, in angestrengter Arbeit und mystischer Gottversenkung. Sich und andere zur Einswerdung mit Christus, zum vollen Gotterlebnis, zu innerer Harmonie zu erziehen, war das ideale Streben dieser hochgestimmten, gottfrohen Natur. Wegen seiner ungewöhnlichen Urteilskraft und Verstandesreife, wovon er schon in verhältnismäßig jungen Jahren staunenswerte Proben gab, nannten ihn ältere Brüder Knabengreis (παιδαριογέρων) [paidariogerōn]8. Er machte wunderbare Tugendfortschritte. Immer höher stieg sein Ansehen, immer mächtiger zündete sein Wort und Beispiel. Er war wie ein Feuerbrand, glühend von Gottesgeist und Jesusleben, von Menschenliebe und Seeleneifer. Wo seine Lichtfunken flammten, da schwand Herzensfrost und Sündennacht, da erstrahlte ein frühlingswarmer Sonnentag, der keinen Abend kannte. Eine zaubermächtige, herzbezwingende Kraft ging von ihm aus. In weite Fernen drang sein Ruf. Bald war er der geistliche Mittelpunkt, der väterliche Führer einer gleichgesinnten Schar. Wie die Mönche der angrenzenden Cellienwüste (Κέλλια) [Kellia], so wohnten wohl auch die sketischen Einsiedler in Zellen, die so weit voneinander entfernt lagen, daß man sich gegenseitig weder sehen noch hören konnte9. Makarius hatte zwei Schüler. Der eine, namens Johannes, war sein Diener und beständig um ihn, während der andere in unmittelbarer Nähe seine Zelle hatte. Johannes mußte ihm beim Empfange der vielen Besucher zur Seite stehen. Bei sehr starkem Fremdenandrang zog sich Makarius durch einen selbstgegrabenen, unterirdischen Gang von der Länge eines halben Stadiums10 in eine verborgene Höhle zurück. Einer seiner treuergebenen Schüler erzählte dem Palladius, daß er hin und zurück jedesmal vierundzwanzig Gebete sprach11. Am Samstag und Sonntag versammelten sich die Mönche der Skete zur gemeinsamen Gottesdienstfeier. Sie verteilten sich auf vier Kirchen12. Makarius war im Alter von vierzig Jahren zum Priester geweiht worden13. Mit hohem Interesse lauschten die Brüder seinen Katechesen oder Predigten. Er hielt sie wohl in koptischer Sprache14. Wiederholt ward er ersucht, ins nitrische Gebirge zu S. 07 kommen, um auch die dortigen Einsiedler durch sein Flammenwort zu erbauen15. Zuweilen besuchte er den „Stern der Wüste, den Vater der Mönche“, den heiligen Antonius, der dreizehn Tagreisen von ihm entfernt lebte16. Bereits hochbetagt mußte er als treuer Anhänger des nicänischen Glaubens in die Verbannung gehen. Nach dem Tode des großen Bekennerbischofs Athanasius hatte der Arianer Lucius den Patriarchenstuhl von Alexandrien bestiegen. Gestützt auf ein Edikt des mönchsfeindlichen, arianischen Kaisers Valens begann er eine Verfolgung der sketischen Mönche. Makarius wurde mit mehreren anderen auf eine Nilinsel verbannt. Die Inselbewohner waren Heiden. Mit apostolischem Feuereifer verkündeten ihnen die neuen Ankömmlinge die Lehre des Evangeliums. Bald prangte auf der Insel das Zeichen des Kreuzes. Die Kunde hiervon löste beim christusgläubigen Volke von Alexandrien helle Begeisterung für die Glaubensboten aus. Zugleich erhob sich ein Sturm der Entrüstung gegen den Patriarchen Lucius, der solch hochgesinnte Gottesmänner ins Exil geschickt. Aus Furcht vor einem Aufruhr erlaubte er den Mönchen die Rückkehr in die sketische Wüste17. Dort beschloß Makarius kurz vor dem Jahre 39018 sein gottgesegnetes Leben. Bei seinem Tode war „die sketische Wüste einer der wichtigsten Sammelplätze ägyptischer Mönche geworden“19.
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[Nr. 1:] Hist. Laus. c. 19. 20. Migne P. G. XXXIV 1045 ff.; ed. Butler p. 43—47. ↩
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[Nr. 2:] Hist. mon. c. 28. Migne P. L. XXI 449 ff. ↩
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[Nr. 3:] Migne P. G. XXXIV 232 ff. ↩
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[Nr. 4:] Über das Geburtsjahr des Makarius siehe J. Stoffels, Die mystische Theologie Makarius des Ägypters und die ältesten Ansätze christlicher Mystik, Bonn 1908, S. 2 f. ↩
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[Nr. 5:] Socr., hist. eccl. 4, 21: ὁ μὲν ἐκ τῆς ἄνω Αἰγύπτου ἦν [ho men ek tēs anō Aigyptou ēn]. ↩
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[Nr. 6:] Apophth. Migne P. G. XXXIV 236 f. ↩
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[Nr. 7:] Hist. Laus. c. 19. 20. Migne l. c. 1043 B. ↩
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[Nr. 8:] l. c. ↩
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[Nr. 9:] Schiwietz, Das morgenländische Mönchtum I. Mainz 1904, S. 93. ↩
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[Nr. 10:] Die Länge des Stadiums war an verschiedenen Orten verschieden. Sie schwankt zwischen 165 und 210 m. ↩
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[Nr. 11:] Hist. Laus. Migne l. c. 1049 A. ↩
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[Nr. 12:] Schiwietz a. a. O. S. 311. ↩
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[Nr. 13:] Hist. Laus. l. c. 1043 C; Sozom., hist. eccl. 3, 14. ↩
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[Nr. 14:] C. Flemming, De Macarii Aegyptii scriptis quaestiones, Gottingae 1911, p. 28 sq.; J. Stiglmayr, Sachliches und Sprachliches bei Makarius von Ägypten, Innsbruck 1912, S. 191. ↩
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[Nr. 15:] Apophth. 2 und 34. Migne P. G. XXXIV 237 C und 257 A. ↩
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[Nr. 16:] Apophth. 4 l. c. 241 C. ↩
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[Nr. 17:] Socr., hist. eccl. 4, 24; Sozom., hist. eccl. 6, 20. ↩
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[Nr. 18:] Stoffels a. a. O. S. 3; Kirchlich. Handlexikon II (München 1912), 782 Art. Makarius; siehe zum ganzen Paragraphen auch A. Bronzoff, Der selige Makarius von Ägypten. Sein Leben, seine Werke und seine sittliche Weltanschauung, Bd. 1, St. Petersburg 1899 (russisch). ↩
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[Nr. 19:] O. Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur III (Freiburg i. B. 1912), S. 87. ↩