Zwölfter Artikel. Über Gott kann Affirmatives behauptet werden.
a) Dagegen sagt Dionysius: I. „Wahr ist, was deshalb von Gott behauptet wird, damit von Ihm etwas entfernt oder geleugnet werde; etwas Affirmatives von Ihm zu behaupten, ist unzukömmlich.“ (de cael. hier. c. 2.) II. Boötius schreibt im selben Sinne (de Trin.): „Die einfache, für sich bestehende Form kann nicht Subjekt sein.“ Gott aber ist im höchsten Grade einfach. Also kann Er nicht in dem Sinne Subjekt sein, daß von Ihm etwas Positives behauptet wird. III. Jegliches Verständnis, welches seinen Gegenstand anders auffaßt, wie er ist, muß als ein falsches bezeichnet werden. Gott aber hat ein Sein ohne irgendwelche Zusammensetzung; die Vernunft dagegen kann nur mittels der Zusammensetzung etwas positiv behaupten. Also scheint über Gott keinerlei positiver Satz gebildet werden zu können. Auf der anderen Seite kann der Glaube nichts Falsches vorstellen. Derselbe stellt aber Sätze vor, welche von Gott etwas Positives behaupten, wie daß Er dreieinig, allmächtig ist. Also können affirmative Sätze über Gott im wahrhaft eigensten Sinne gebildet werden.
b) Ich antworte, daß letzteres der Fall ist. Zu besserer Klarstellung dieser Behauptung möge berücksichtigt werden, daß in jeglichem affirmativen Satze, der wahr sein soll, das Prädikat und das Subjekt in irgend welcher Weise ein und dasselbe bezeichnen müssen, soweit es auf das wirkliche Sein ankommt, und Verschiedenes, soweit es die Auffassung der Vernunft betrifft. Und das ist offenbar, sowohl bei Sätzen, in welchen vom Subjekt eine Eigenschaft, ein Zustand oder im allgemeinen etwas Zufälliges ausgesagt wird, als auch bei jenen, in welchen das vom Subjekte Ausgesagte dessen inneres Wesen betrifft. So ist z. B. der einzelne Mensch und das Weiße ein und dasselbe in der Wirklichkeit. Es unterscheidet sich aber der „Mensch“ vom „Weißen“ der Auffassung der Vernunft nach; denn anders wird der Mensch begrifflich bestimmt und anders das Weiße. Und ähnlich verhält es sich, wenn ich sage: Der Mensch ist ein sinnbegabtes Wesen. Denn jenes selbe, was „Mensch“ ist, ist der Thatsächlichkeit nach auch das „Sinnbegabte“. Im selben einzelnen Menschen ist nämlich sowohl die sinnliche Natur vorhanden, die er mit dem Tiere gemein hat; als auch die vernünftige, auf Grund deren er „Mensch“ genannt wird. Somit ist auch hier das „Einzelne“ ein und dasselbe, welches als Suppositum das Prädikat und zugleich das Subjekt trägt; verschieden aber sind die Seiten, nach denen hin die Vernunft ihre Auffassung bildet. Und selbst in Sätzen, in welchen ein und dasselbe von sich selber gesagt wird, findet sich dies in gewisser Weise. Denn die Vernunft nimmt dann das Subjekt, von dem etwas ausgesagt wird, vom Suppositum, dem Träger und Princip des Einzelnseins, her; und von der Natur der Form im besonderen des Wesens, was vom Suppositum getragen wird, nimmt sie das Prädikat, was ausgesagt wird. Damit also ist das Prädikat immer auf seiten der Form, das Subjekt auf seiten des einzelnen Trägers der Form, des suppositum. Dieser Verschiedenheit sonach, welche in der Auffassung der Vernunft begründet ist, entspricht die Mehrzahl von Prädikat und Subjekt; Identität aber im wirklichen Sein wird ausgedrückt durch die Zusammensetzung selber, welche die Vernunft macht. Gott nun ist die reinste Identität im wirklichen Sein, denn Er ist durchaus einer und einfach. Unsere Vernunft aber erkennt Ihn auf Grund verschiedener Auffassungen, da sie Ihn nicht schauen kann, soweit Er an sich Sein ist. Obgleich nun die Vernunft vermittelst verschiedener Auffassungen Gott erkennt, so erkennt sie doch, daß diesen verschiedenen Auffassungen immer ganz und gar ein und dasselbe in der Wirklichkeit entspricht. Jene Mehrzahl also, welche dem Standpunkte der menschlichen Vernunft entspricht, wird dargestellt durch die Mehrzahl im Subjekt und Prädikat; und jene Einerleiheit stellt die Vernunft dar durch die Zusammensetzung, durch das Bindewort „ist“. I. Die Stelle bei Dionysius ist dahin zu erklären, daß kein Name mit Gottes Natur verträglich ist gemäß der Art und Weise, wie er bezeichnet; nicht gemäß dem, was er bezeichnet. (Art. 3.) II. Unsere Vernunft kann einfache, für sich bestehende Formen, nicht erkennen, insoweit dieselben in sich selbst Sein haben. Nur nach der Art und Weise, wie sie das Zusammengesetzte versteht, kann sie zum Verständnisse dieser einfachen Seinsformen gelangen. Und daher faßt sie eine solche einfache Form anstatt des Subjektes auf; und teilt ihr etwas zu, was die Stelle des Prädikates vertritt. III. Der dritte Einwurf ist zweideutig, je nachdem das „anders“ aufgefaßt wird. Soll der betreffende Satz besagen: Wer da mit seiner Vernunft auffaßt, daß die Sache anders sei als sie ist, der faßt falsch auf; — so ist dies richtig; paßt aber nicht hierher. Denn unsere Vernunft faßt, indem sie über Gott einen positiven Satz zusammensetzt, nicht auf, daß Gott zusammengesetzt sei, sondern sie erkennt dadurch eben, daß Gott durchaus einer und einfach ist. Wird aber mit dem Satze gesagt, daß es unserer Vemunft ihrer Seinsweise gemäß eigen ist, anders vorzugehen, nämlich vermittelst der Zusammensetzung, wie das einfache Sein Gottes in sich ist oder wie Gott erkennt, so ist der Satz, wie er im Einwürfe steht, falsch; die Verschiedenheit zwischen dem Vorgehen der Vemunft und zwischen der Art und Weise wie die Dinge in der That Sein haben hat nicht zur Folge, daß sie das wirkliche Sein der Dinge nicht als das erkennt, was es ist. Denn unsere Vemunft erkennt die unter ihr stehenden stofflichen Dinge nach ihrer der Vernunft, stofflosen Weise. Damit erkennt sie aber nicht, daß die Dinge stofflos sind, sondern vielmehr, daß sie ihrer Natur nach durchaus vom Stoffe getragen werden. Und ähnlich erkennt sie das über ihr stehende einfache Sein vermittelst der Zusammensetzung. Nicht aber erkennt sie, daß dieses Sein zusammengesetzt ist.
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