Elfter Artikel. Dieser Name „Der da ist“ bezeichnet am eigensten Gott.
a) Das scheint dem über den Namen „Gott“ Gesagten entgegen zu sein. Denn: I. Der Name „Gott“ ist unmittellbar. Der Name „Der da ist“ aber ist dies nicht. Also ist der letztere nicht am eigensten Gott entsprechend. II. Dionysius sagt (de div. nom. c. 3.): „Daß man Gott den Guten nennt, das ist im hervorragendsten Grade die Offenbarung alles dessen, was von Gott ausgeht.“ Dies aber kommt am meisten Gott zu, daß Er das Princip aller Dinge ist. Also der Name „gut“ ist Ihm am meisten eigen. III. Gott wird genannt gemäß der Beziehung zu den Kreaturen; denn Er wird von uns nur vermittelst der Kreaturen genannt. Aber der Name „Der da ist“ birgt keine Beziehung zu den Kreaturen in sich. Also ist derselbe nicht am meisten Gott eigen. Auf der anderen Seite antwortet der Herr Exod. 3, 15. auf die Frage des Moses: „Und wenn sie mich fragen, wie ist sein Name; was soll ich ihnen sagen? So sollst Du ihnen sagen: Der da ist, hat mich zu euch gesandt.“ Also ist dies der am meisten Gott eigene Name.
b) Ich antworte, daß der Name „Der da ist“ am besten dem Sein Gottes entspricht. Dies geht aus drei Gründen hervor: 1. Dieser Name bezeichnet nicht eine reine Natur oder Form, sondern das Sein selber. Da aber das thatsächliche Sein gerade das Wesen Gottes ist, und da dies nichts Anderem zukommt, so ist es offenbar, daß unter allen anderen Namen dieser: „Der da ist“ am eigensten von Gott gilt. 2. Alle anderen Namen bezeichnen bloß etwas in Gott oder sie fügen zu dem göttlichen Sein, um dessen Verständnis zu erleichtem, etwas, freilich nur nach der Auffassung der Vernunft, hinzu; und scheinen so eine Bestimmung gewissermaßen auszudrücken, welche zum göttlichen Sein tritt. Unsere Vernunft aber kann auf dem irdischen Pilgerwege Gott nicht erkennen, soweit Er an sich ist; sondern in welcher Weise auch immer sie über Gott bestimmt, es mangelt in ihrer Weise zu erkennen und sich auszudrücken, immer etwas im Vergleiche zu dem, was Gott an und für sich ist. Je umfassender somit und unbeschränkter die Ausdrucksweise ist, desto mehr ist sie dem Sein Gottes entsprechend. Deshalb sagt Damascenus (I. de fide orth. c. 12.): „Der vorzüglichste und hauptsächlichste Name unter allen jenen, die Gott gegeben werden, ist: Der da ist. Denn er drückt das Sein aus, welches Gott in aller Fülle in sich enthält gewissermaßen wie ein unermeßliches und in nichts beschränktes Meer der Substanz.“ Durch jeden anderen Namen wird eine gewisse Seite der göttlichen Substanz ausgedrückt. Dieser Name „Der da ist“ aber richtet sich auf keine einzelne Vollkommenheit des Seins Gottes, sondern ist von sich aus offen für alle insgesamt; und deshalb bezeichnet derselbe ein unendliches Meer der inneren Substanz. 3. Dieser Name drückt das Sein in der Gegenwart aus und dies kommt am allermeisten Gott zu, für den keine Vergangenheit und keine Zukunft besteht, wie Augustin sagt (5. de Trin. c. 2.).
e) I. Der Name „Der da ist“ eignet sich mehr für Gott, wenn darauf Rücksicht genommen wird, wovon er hergenommen ist, nämlich vom Sein; und darauf, was er in seiner Bezeichnung einschließt. Der Name „Gott“ eignet sich mehr, wenn berücksichtigt wird, wozu er Gott beigelegt ist, nämlich, um seine Natur zu bezeichnen. Das „Tetragrammaton“ eignet in noch höherem Grade mit Rücksicht darauf, daß es die Unmitteilbarkeit Gottes, jenes Moment gerade, das da Gott abschließt von allem anderen und zu einem Einzelwesen macht, ausbrücken soll. II. „Gut“ kommt am meisten Gott zu, insofern Er Ursache ist; aber nicht in ausschließender Weise. Denn das absolute Sein wird dem Charakter der verursachenden Kraft vorausgesetzt. III. Nicht alle Namen brauchen die Beziehung zu den Kreaturen in ihrer Bezeichnung einzuschließen. Vielmehr genügt es, daß sie Gott beigelegt sind auf Grund von Vollkommenheiten, die von Gott ausgegangen sind und auf die Kreaturen sich erstrecken. Unter diesen Vollkommenheiten aber ist die erste: das Sein; und von ihr wird der Name genommen: „Der da ist.“
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