Erster Artikel. Nicht alle Ergötzlichkeit ist moralisch schlecht.
a) Dies scheint jedoch der Fall zu sein. Denn: I. „Dem Menschen ist es gut,“ sagt Dionysius (4 de div. nom.), „gemäß der Vernunft zu sein.“ Das Ergötzen aber verdirbt die Meinung der Klugheit; und je größer es ist, desto mehr hindert es den Gebrauch der Vernunft, so daß bei den geschlechtlichen Ergötzungen es unmöglich ist, geistig thätig zu sein. Hieronymus auch sagt: „Zur Zeit der geschlechtlichen Verbindung wird den Gatten die Gegenwart des heiligen Geistes nicht gegeben werden; wenn es auch ein Prophet wäre, welcher der Pflicht der geschlechtlichen Fortpflanzung genugthut.“ Also das Ergötzen ist an sich schlecht. II. Was der Tugendhafte flieht und der von der Tugend Entfernte sucht, scheint an sich schlecht und zu fliehen zu sein. Denn Ethic. 5. heißt es: „Der Tugendhafte ist gewissermaßen das Maß und die Richtschnur der menschlichen Handlungen;“ und Paulus (1. Kor. 2.) schreibt: „Der geistige Mensch urteilt über Alles.“ Die Kinder aber und die Tiere, in denen keine Tugend ist, gehen am meisten den Ergötzlichkeiten nach; und es flieht dieselben der Mäßige. III. „Die Tugend und die Kunst beschäftigen sich mit dem Schwierigen und dem Guten,“ wird 2 Ethic. 3. gesagt. Keine Kunst aber beschäftigt sich mit den Ergötzlichkeiten. Also ist darin nichts Gutes. Auf der anderen Seite sagt der Ps. 36.: „Ergötze dich im Herrn.“ Also nicht jegliches Ergötzen ist von vornherein schlecht.
b) Ich antworte, nach 10 Ethic. 2. et 3. haben einige gesagt, alle Ergötzlichkeiten seien an sich schlecht. Sie sahen nämlich nur auf die sinnlichen, körperlichen Ergötzlichkeiten, die mehr offen vorliegen. Denn auch sonst haben die älteren Philosophen nicht genau unterschieden zwischen Sinn und Vernunft. Sie meinten nun, die körperlichen Ergötzlichkeiten seien alle insgesamt schlecht, so daß die Menschen von denselben sich ganz und gar zurückzuziehen hätten, um zur rechten Mitte der Tugend zu kommen. Doch diese Meinung ist unzulässig. Denn da der Mensch seiner Natur nach nicht leben kann ohne irgend welches sinnliche Ergötzen, so werden, wenn jene, die da lehren, alle Ergötzlichkeiten seien schlecht, von der eigenen Natur gezwungen, selber einzelne an sich zulassen, die anderen nur um so mehr sich den Ergötzlichkeiten hingeben, angelockt durch das Beispiel in den Werken und ohne den Zügel gesunder Lehre in den Worten. In den menschlichen Thätigkeiten und Leidenschaften nämlich, wo die Erfahrung einen so hohen Wert hat, bewegen die Beispiele in besonders hohem Grade, mehr noch als Worte. Es giebt also Ergötzungen, die gut; und Ergötzungen, die schlecht sind. Denn Ergötzen ist eben nichts Anderes wie die Ruhe des Begehrens im geliebten Gute. Für die Bestimmung nun des moralischen Charakters der Ergötzungen kommt zuerst in Betracht das Gute, worin das Begehren ruht. „Gut“ nämlich und „schlecht“ wird im Bereiche des Moralischen ausgesagt, je nachdem etwas mit der Vernunft übereinstimmt oder von ihr abweicht. So wird auch im Bereiche der reinen Natur als „natürlich“ bezeichnet, was der Natur in einem Dinge entspricht; und als „unnatürlich“, was derselben zuwider ist. Wie es also in der Natur eine „natürliche“ Ruhe giebt, die nämlich darin sich findet, was der Natur zukommt, wie wenn das Schwere unten in der Tiefe ruht; und wie es da eine „unnatürliche“ Ruhe giebt, die darin sich findet, was der Natur widerspricht, wie wenn der schwere Körper in der Höhe ruht; — so ist ein Ergötzen im Bereiche des Moralischen ein gutes, wenn die höhere oder niedere begehrende Kraft in dem ruht, was der Vernunft entspricht; und es ist ein schlechtes, wenn sie in dem ruht, was von der Vernunft abweicht. Dann kommt in Betracht die Thätigkeit selber, von denen manche gut und manche schlecht sind. Den Thätigkeiten mehr verwandt aber sind die mit ihnen verbundenen Ergötzungen als die Begierlichkeiten, welche der Zeit nach vorhergehen. Da nun also die Begierden nach guten Thätigkeiten gut sind und die nach schlechten schlecht, so sind um so mehr die Ergötzungen an guten Thätigkeiten gut, die an schlechten schlecht.
c) I. Die Ergötzungen, welche sich mit der Thätigkeit der Vernunft beschäftigen, hindern zuvörderst die letztere gar nicht. Jene körperlichen Ergötzungen, die den Gebrauch der Vernunft hindern, sei es weil sie in einem Gegenstände ruhen, welcher der Vernunft zuwider ist — und dann ist die Ergötzung moralisch schlecht — sei es daß sie in etwa die Vernunft binden wie die eheliche geschlechtliche Verbindung, wo trotzdem die Ergötzung in dem ist, was der Vernunft entspricht, führen ebenfalls nicht immer mit sich den Charakter des moralisch Schlechten. Denn im letzten Falle folgt ebensowenig aus der Behinderung der Vernunft etwas moralisch Schlechtes, wie aus dem Schlafe; der Natur nämlich unserer Vernunft wohnt es inne, daß sie manchmal unthätig sei. Bei der ehelichen Verbindung jedoch sagen wir, es sei wohl dabei kein moralisch Schlechtes, weder Tod- noch läßliche Sünde,[^5]jedoch kommt diese Behinderung der Vernunft von der Sünde, nämlich von der Erbsünde; denn vorher fand eine solche Behinderung nicht statt (I. Kap. 98, Art. 2.) II. Der Mäßige flieht nur die ungeregelten Ergötzlichkeiten. In den Kindern und den Tieren ist aber auch die natürliche, von Gott gegebene Neigung zu erwägen, nach der sie dahin sich bewegen, wo ein ihnen zukömmliches Gut sich findet. III. Nicht jegliches Gute erfordert eine besondere Kunst; sondern nur wo es sich um Werke handelt, die nach außen erscheinen. Mit den Thätigkeiten und Leidenschaften in uns beschäftigt sich weit mehr die Tugend, z. B. die Klugheit, wie die Kunst. Und doch ist die Kochkunst u. dgl. auch den sinnlichen Ergötzlichkeiten gewidmet.
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