Zweiter Artikel. Nicht jegliches Ergötzen ist moralisch gut.
a) Das Gegenteil geht aus Folgendem hervor: I. Das Gute wird geteilt in das „Ehrbare“, „Nützliche“ und „Ergötzliche“. Die ersten beiden Klassen aber sind immer moralisch gut; also auch die letzte. II. „Jenes ist an und für sich gut, was nicht um etwas Anderes willen gesucht wird,“ heißt es 1 Etic. 6. Das Ergötzliche aber wird nicht um etwas Anderes willen gesucht; denn lächerlich wäre es, jemanden zu fragen, warum er sich ergötzen wolle. Also die Ergötzung ist an und für sich gut. Also jede ist gut. III. „Was allseitig ersehnt wird, das scheint an sich „gut“ zu sein. Denn „gut“ ist was von allen Seiten her erstrebt wird.“ Alle aber begehren nach Ergötzungen, auch die Kinder und die Tiere. Auf der anderen Seite steht geschrieben Prov. 2.: „Die da sich ergötzen, wenn sie Übles gethan haben und frohlocken über die schlechtesten Dinge.“
b) Ich antworte: Wie die Stoiker annahmen, alle Ergötzungen seien an sich schlecht; so die Epikuräer, alle insgesamt seien an sich gut. Die letzteren täuschten sich, weil sie nicht unterschieden zwischen dem, was schlechthin „gut“ ist und dem, was für diesen einzelnen Fall, unter den besonderen Umständen, „gut“ ist. Denn schlechthin „gut“ ist, was an sich allein betrachtet „gut“ ist. Es kann aber etwas an sich betrachtet nicht „gut“ sein und trotzdem ist es „gut“ für diesen einzelnen Menschen in seinen besonderen Verhältnissen; wie z. B. es für den Kranken bisweilen „gut“ ist, etwas Giftiges zu essen, was sonst, die menschliche Komplexion an sich betrachtet, nicht „gut“ ist. Zudem kann etwas, was an sich nicht zukömmlich, also nicht „gut“ ist, als zukömmlich, also als „gut“ jemandem vorkommen., Da nun das Ergötzen nichts Anderes ist wie die Ruhe des Begehrens im Guten, so ist ein solches Ergötzen schlechthin Ergötzen und schlechthin „gut“, wenn das Gute, worin das Begehren ruht, schlechthin und ohne weiteres etwas Gutes ist. Ist aber das Gute nur für den einzelnen, unter den besonderen Verhältnissen, thatsächlich gut; dann auch ist das Ergötzen nur in diesen Schranken ein wirkliches Ergötzen und ist nicht schlechthin gut, sondern mit Rücksicht auf den besonderen Fall und weil es als ein Gut dem Betreffenden vorkommt.
c) I. „Ehrbar“ und „nützlich“ werden so ausgesagt, bereits mit Beziehung auf die Auffassung und die Regel der Vernunft; und deshalb ist nichts „ehrbar“ und nichts „nützlich“, was nicht „gut“ wäre. „Ergötzlich“ aber wird ausgesagt gemäß dem Begehren, was bisweilen auf das geht, was nicht der Vernunft entspricht. Und deshalb ist nicht alles Ergötzliche „gut“ im Bereiche des Moralischen. II. Die Ergötzlichkeit wird nicht gesucht um etwas Anderes willen, weil sie Ruhe im erstrebten Zwecke bedeutet. Dieser erstrebte Zweck aber kann moralisch gut oder schlecht sein; wenn auch der Zweck immer dem einzelnen als etwas Gutes erscheint. Danach richtet sich auch das Ergötzen. III. In der nämlichen Weise begehrt Alles nach dem Ergötzen wie nach dem Guten, da das Ergötzen nur Ruhe im Guten bedeutet. Wie aber nicht alles Gute, was erstrebt wird, in sich wahrhaft ein Gut ist, so ist auch nicht jedes Ergötzen an sich und wahrhaft „gut“.
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