Vierter Artikel. Die Trauer schadet dem Körper mehr wie die anderen Leidenschaften.
a) Dagegen wird aufgestellt: I. Die Trauer hat ihr geistiges Sein, von wo aus ihr Wesen und Wirken bestimmt wird, in der Seele. Was aber nur „geistiges“1 Sein besitzt, das verursacht kein Anderswerden im Körper; wie z. B. das Dasein der Farben, soweit es in der Luft ist, nichts wirkt und in keinem Körper Farbe verursacht. Also thut die Trauer dem Körper keinen Schaden. II. Soll die Trauer dem Körper schaden, so kann dies nur dadurch geschehen, daß sie ein Anderswerden im Körper verursacht. Das hat sie aber gemein mit allen Leidenschaften. Also schadet sie nicht mehr als diese. III. Aristoteles sagt (7 Ethic. 3.): „Zorn und Begierde machen manchmal sinnlos;“ was jedenfalls der größte Schaden ist. Ebenso ist die Verzweiflung schädlicher wie die Trauer, deren Ursache sie ja ist. Auf der anderen Seite heißt es Prov. 17.: „Der frohe Geist macht blühend das Alter; der traurige Geist trocknet die Gebeine aus;“ — und Prov. 23.- „Wie die Motte dem Kleide, so schadet die Trauer dem Geiste des Mannes;“ und Ekkli. 38.: „Von der Trauer geht eilig der Tod aus.“
b) Ich antworte; mehr als alle anderen Leidenschaften schadet die Trauer dem Körper. Denn sie widerstrebt dem menschlichen Leben in der ganzen besonderen Gattung seiner Bewegung und nicht bloß mit Rücksicht auf ein gewisses Maß oder einen gewissen Umfang derselben. Denn das menschliche Leben besteht in einer gewissen Bewegung, welche vom Herzen aus sich in die übrigen Glieder verbreitet. Diese Bewegung nun kommt dem menschlichen Leben zu gemäß einem ganz bestimmten Maße. Überschreitet also die Bewegung das gebührende Maß, so widerstreitet sie dem menschlichen Leben mit Rücksicht auf den Umfang oder die Quantität der Bewegung, nicht aber mit Rücksicht auf die Ähnlichkeit der Gattung selber. Wird aber das Vorangehen dieser selben Bewegung gehindert, so widerstreitet dies dem Leben gemäß seiner innersten Gattung. Nun ist zu beachten, daß in allen übrigen Leidenschaften das körperliche Anderswerden, was in ihnen das materiale, bestimmbare Moment bildet, gleichförmig ist und in einem bestimmten Verhältnisse steht zu dem thatsächlichen Begehren, dem formalen, bestimmenden Momente; wie ja in allen Dingen der Stoff in solchem Verhältnisse steht zu seiner Form. Jene Leidenschaften der Seele also, welche in der Verfolgung von irgend etwas Gutem bestehen, widerstreiten nicht der Lebensbewegung nach ihrer Gattung, können aber dem Maße und Umfang derselben in etwa zuwider sein, wie die Liebe, die Freude u. dgl. Sie helfen an und für sich, nach ihrer Natur dem Körper;und können höchstens durch ein Übermaß schaden. Jene Leidenschaften aber, welche die Bewegung des Begehrens gemäß dem Fliehen, dem Sich-Zurückziehen in sich einschließen, widerstreiten ihrer Natur nach der Lebensbewegung, sind gegen deren Gattung und deshalb schlechthin schädlich; wie die Furcht, die Verzweiflung und vor allem die Trauer, welche entsteht aus dem Eindrucke, den das gegenwärtige Übel macht; ein Eindruck, der stärker ist als jener, der vom künftigen Übel herkommt.
c) I. Die Seele bewegt kraft der Natur den Leib; also ist die geistige antreibende Bewegung der Seele kraft der Natur die Ursache von körperlichem Anderswerden. Was von jenem Sein gesagt wird, wie ein solches die Farben in der Luft haben, gilt hier nicht; denn dieses Sein hat in sich keine natürliche Beziehung dazu, andere Körper zu bewegen. II. Die anderen Leidenschaften haben zur Folge eine körperliche Veränderung, welche ihrer Natur nach gleichförmig ist der Gattung der Lebensbewegung, die vom Herzen in die Glieder geht. Die Trauer aber ist in ihrer Natur der ganzen Art dieser Bewegung zuwider; sie zieht zurück. III. Die Ursache, welche den Gebrauch der Vernunft hindert, ist nicht so stark wie jene, welche das Leben schädigt. Denn viele Krankheiten hindern wohl den Gebrauch der Vernunft, enden aber nicht mit dem Tode. Und trotzdem schaden auch die Furcht und der Zorn zumal dem Körper, weil sie vermischt sind mit Trauer infolge der Abwesenheit des Begehrten. Übrigens macht auch die Trauer manchmal sinnlos und hat Wahnsinn zur Folge.
Über dieses geistige Sein vergl. Hauptt. I. Abhdlg. III. Kap. 79 Überleitg. S. 346. Kap. 67 Überleitg. S. 231 und Kap. 75 Überleitg. S. 276. ↩
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