Vierter Artikel. Die leidenschaftlich Kühnen sind kühner im Beginne wie am Ende der Gefahren.
a) Dem steht entgegen: I. Das Zittern kommt von der Furcht, dem Gegenteil der Kühnheit. Die Kühnen zittern aber bisweilen nach Aristoteles im Anfange. II. Ist der Gegenstand mächtiger, so ist mächtiger die Leidenschaft; wie das in höherem Grade Gute mehr geliebt wird. Wird somit die Schwierigkeit stärker, so wird stärker die Kühnheit. Also je größer und gegenwärtiger die Gefahr, desto mächtiger die Kühnheit. III. Von den erhaltenen Wunden wird der Zorn verursacht. Der Zorn aber ist Quell der Kühnheit. Also wann die Kühnen mitten in der Gefahr sind und verwundet werden, dann wächst die Kühnheit. Auf der anderen Seite fagt Aristoteles (3 Ethic. 7.): „Die Kühnen fliegen den Gefahren entgegen; in den Gefahren selbst aber weichen sie zurück.“
b) Ich antworte; die Kühnheit als Bewegung im begehrenden Teile, folgt der Auffassung der Sinne. Diese aber vergleicht nicht und untersucht nicht die einzelnen Umstände, sondern plötzlich ist ihr Urteil. Bisweilen aber kann nicht mit einem Male Alles erkannt werden, was in der Sache Schwierigkeit verursacht. Sonach ersteht auf einmal die Bewegung der Kühnheit, um auf die Gefahr loszugehen. Ist aber die Gefahr wirklich da, dann erscheint diese größer als man gemeint hat und man weicht zurück. Die Vernunft aber vergleicht und erforscht Alles, was Schwierigkeit machen kann. Jene Starken also, die der Vernunft gemäß die Gefahr angreifen, erscheinen, weil nicht durch bloße Leidenschaft bewegt, im Beginne lässiger. Sind sie aber mitten in der Gefahr, so erfahren sie nichts Unvorhergesehenes, sondern manchmal ist die Gefahr kleiner als sie meinten; und deshalb bleiben sie fest bis zum Ende. Oder auch sie greifen die Gefahr an auf Grund der Tugend, die in ihrem Willen bleibt, so groß auchimmer die Gefahren sind. Die leidenschaftlich Kühnen aber greifen an bloß rechnend mit der in ihnen erweckten Meinung, die da Hoffnung erregt und Furcht ausschließt.
c) I. In den Kühnen kommt Zittern vor, weil die Wärme von den äußeren Gliedern nach innen zurückgeht; in ihnen aber geht sie zum Herzen zurück, in den Furchtsamen nach unten. II. Der Gegenstand der Liebe ist einfach das Gute. Der Gegenstand der Kühnheit aber ist zusammengesetzt aus Gutem und Bösem, so daß die Kühnheit zur Voraussetzung hat die Hoffnung. Wenn also soviel Schwieriges hinzugefügt wird zum Gegenstande, daß es die Hoffnung überragt, so wird die Kühnheit minder. III. Aus einer Verletzung geht nicht der Zorn hervor, außer unter Voraussetzung der Hoffnung, wie das gleich (Kap. 46.) gesagt werden wird. Wenn also die Gefahr so groß ist, daß sie die Hoffnung auf Sieg überragt, so folgt kein Zorn. Folgt aber Zorn, dann wird größer die Kühnheit.
