Dritter Artikel. Nicht ein Mangel ist Ursache der Kühnheit.
a) Dies scheint aber. Denn: I. Aristoteles sagt (de Problem. sect. 27, probl. 4.): „Die Weinliebhaber sind kühn.“ Aus dem Weine aber folgt der Fehler der Trunkenheit. II. Ebenso sagt derselbe (2 Rhet. 5.): „Die Unerfahrenen sind in den Gefahren kühn,“ was wieder ein Mangel ist. III. Die Unrecht gelitten, scheinen kühner zu sein; wie auch die Tiere, wenn sie geschlagen werden. (3 Ethic. 8.) Unrecht leiden aber ist ein Mangel. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (2 Rhet. 5.): „Die Ursache der Kühnheit ist dann vorhanden, wenn in der Einbildungskraft Hoffnung auf Heilsames wie auf Nahebevorstehendes besteht; das zu Fürchtende aber entweder als nicht vorhanden erscheint oder als weit entfernt.“ Sollte aber ein Mangel die Ursache der Kühnheit sein, so wäre es vielmehr das Fernsein des Heilsamen und die Nähe des Furchtbaren. Also kein Mangel ist Ursache der Kühnheit.
b) Ich antworte, da die Kühnheit der Hoffnung folgt und der Furcht entgegen ist, so ist das was geeignet ist, Hoffnung zu erzeugen oder die Furcht auszuschließen, Ursache der Kühnheit. Und da nun jede Leidenschaft in einer Bewegung innerhalb des begehrenden Teiles besteht und in einer gewissen körperlichen Veränderung; — so muß von beiden Seiten her die Ursache der Kühnheit bemessen werden sei es was die Erregung der Hoffnung sei es was den Ausschluß der Furcht anbelangt. Von seiten der Bewegung im begehrenden Teile nun wird die Hoffnung als Ursache der Kühnheit erregt durch Alles, was in uns die Meinung erweckt, der Sieg sei möglich entweder mit Rücksicht auf die eigene Macht oder mit Rücksicht auf die anderer, also mit Rücksicht auf Körperstärke, Reichtum, Erfahrenheit einerseits und die Menge der Freunde andererseits, zumal noch dazu wenn der Mensch auf Gottes Hilfe vertraut; so daß, wie es 2 Rhet. 5. heißt, „jene, welche in gutem Verhältnisse stehen zum Göttlichen, kühner sind.…“ Die Furcht aber wird nach dieser Seite hin ausgeschlossen durch die Entfernung drohender Schrecknisse; z. B. weil der betreffende Mensch keine Feinde hat, weil er niemandem Schaden that, weil er das Nahen einer Gefahr nicht merkt; scheint doch jenen am meisten Gefahr zu drohen, welche anderen Unrecht thaten. Von seiten der körperlichen Veränderung aber regt zur Hoffnung an und schließt die Furcht aus Alles das, was Wärme um das Herz herum verbreitet. Deshalb sagt Aristoteles (3. de partibus animal. cap. 4.): „Jene, die ein kleines Herz haben dem Umfange nach, sind kühner, die sinnbegabten Wesen, die dem Umfange nach ein großes Herz haben, sind furchtsam;“ denn die natürliche Wärme kann nicht in so hohem Grade warm machen ein großes Herz wie ein kleines, wie das Feuer nicht gleichermaßen warm macht ein großes Haus wie ein kleines. Und ebenso sagt Aristoteles (probl. 27) 4.): „Die da eine große mit Blut gut versehene Lunge haben, sind kühner wegen der größeren Wärme im Herzen, die daraus folgt“ und: „Die Weinliebhaber sind kühner wegen der Wärme, die der Wein verbreitet.“ So ist auch oben gesagt worden, die Trunkenheit trage bei zur großen Hoffnung; denn die Wärme des Herzens vertreibt die Furcht und verursacht Hoffnung, da sie das Herz erweitert.
c) I. Das Trunkensein ist Ursache der Kühnheit nicht als Mangel an Vernunft, sondern wie eben gesagt. II. Die Unerfahrenen sind nicht kühner wegen ihres Mangels, sondern weil die Größe der Gefahr für sie nicht besteht oder auch weil sie sich nicht schwach vorkommen. Der Ausschluß der Furcht veranlaßt hier die Kühnheit. III. Aristoteles (2 Ethic. 5.) sagt: „Die Unrecht gelitten, werden kühner, weil sie meinen, Gott werde ihnen helfen.“
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