Siebenter Artikel. Gottes Wissenschaft erkennt nicht das eine aus dem anderen.
a) Das Gegenteil scheint richtig zu sein: Denn I. Aristoteles sagt (2 Top. cap. 4.): „Solange die Wissenschaft Zustand bleibt in der Vernunft, kann vieles verstanden werden; wird aber der Erkenntnisakt einmal wirklich gesetzt und demgemäß der Zustand gleichsam lebendig gemacht, so kann man thatsächlich nur eines erkennen.“ Gottes Wissen aber ist kein Zustand, sondern Thatsächlichkeit. Also kann Er nicht vieles zugleich erkennen; Er kann nicht Sich und das Andere zugleich erfassen, sondern muß von der Kenntnis des einen zur Kenntnis des anderen gelangen. II. Die Wirkung aus der Ursache erkennen ist der Wissenschaft eigen, insoweit sie das eine aus dem anderen schließt, dislursiv ist. Gott aber erkennt alles andere durch Sich selber, wie die Wirkung aus der Ursache. Also ist seine Wissenschaft eine diskursive. III. Gott erkennt jede Kreatur in vollkommenerer Weise als wir. Wir aber erkennen in den geschaffenen Ursachen deren Wirkungen und gelangen so von der Kenntnis der Ursachen zur Kenntnis des Verursachten. Also ist es ähnlich in Gott. Auf der anderen Seite sagt Augustin (15. de Trin. cap. 14.): „Gott sieht nicht bald dies bald jenes im einzelnen und besonderen; sondern, alles sieht er zugleich.“
d) Im göttlichen Wissen ist keinerlei Aufeinanderfolge. Das erhellt so. In unserem Wissen nämlich ist eine doppelte Art discursus. Einmal gemäß der einfachen Aufeinanderfolge, wenn wir z.B., nachdem wir etwas Verstanden haben, uns dazu wenden, etwas anderes zu verstehen. Dann gemäß der Ursachlichkeit, wie wenn wir z. B. von Principien ausgehen und, auf diesem Wege zu bestimmten Schlüssen gelangen. Die erste Art der Aufeinanderfolge oder des discursus ist bei Gott keinesfalls statthaft. Denn was wir unter vielen Erkenntnisgegenstanden in dem Falle eines nach dem anderen verstehen, wenn ein jedes für sich genommen wird, das verstehen wir alles zugleich, wenn wir es in einem zusammengefaßt sehen; wie z. B. wenn wir die Teile im Ganzen schauen oder verschiedene Dinge zusammen im Spiegel. Gott aber sieht alles in dem einen, was Er selbst ist. Also ist keine Aufeinanderfolge in dem, was Er versteht, sondern alle Dinge sind seinem Schauen zugleich gegenwärtig. Aber auch die zweite Art des discursus kann Gott nicht zugeschrieben werden. Denn erstens setzt diese Art Aufeinanderfolge die erste voraus; denn die da ausgehen von Principien und vordringen bis zu Schlußsätzen, haben nicht beides zugleich vor sich. Dann aber ist diese Art discursus für Gott nicht geziemend, weil jener, der sich seiner bedient, vom bekannten zum unbekannten vorgeht. Daher ist es ganz offenbar, daß, wenn der erste Teil, das Princip, gekannt wird, der zweite Teil, der Schluß, als terminus noch nicht gekannt ist und daß somit dieses zweite nicht sowohl im ersten erkannt wird, sondern aus dem ersten heraus und infolge der Kenntnis des ersten. Der Schlußpunkt aber dieser Art von discursus besteht darin, daß das zweite, die conclusio, im ersten gesehen wird, wenn nämlich die Wirkungen auf ihre Ursachen zurückgeführt sind; — und dann hört der discursus auf. Da nun also Gott, was Er wirkt, in Sich selbst sieht wie in der Ursache, so ist unmöglich seine Kenntnis eine diskursive.
c) I. Eines ist das göttliche Erkennen allerdings: das alleinige Verstehen seines eigenen Seins, seiner selbst. Vieles kann jedoch verstanden werden in dem einen; wie eben auseinandergesetzt worden. II. Gott erkennt nicht die Wirkungen kraft der Kenntnis, die Er von der Ursache hat; sondern Er erkennt sie in der Ursache. III. Die Wirkungen der geschaffenen Ursachen sieht Gott wohl in diesen Ursachen weit besser wie wir; aber die Kenntnis der Wirkungen wird bei Ihm nicht verursacht durch die Kenntnis der Ursachen, wie bei uns.
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