Sechster Artikel. Gott erkennt Anderes als Er selbst ist nach dessen eigenstem Sein.
a) Gegen diese Behauptung läßt sich geltend machen: I. Gott erkennt Anderes als Er selber ist, insoweit es von Ihm herrührt. Alle anderen Dinge aber, die von Ihm herstammen, sind so in Ihm, wie in der ersten und allgemeinen Ursache. Da nun dieser Weise gemäß sie erkennen nichts anderes heißt als sie im allgemeinen, ihrem allgemeinen Sein nach erkennen und nicht nach dem Sein, worin sich das eine vom anderen und Alles von Gott unterscheidet, so kennt Gott die Dinge nur im allgemeinen; inwieweit sie nämlich einfach und überhaupt sind; nicht aber insoweit sie dies oder jenes sind. II. Das Wesen der Kreatur ist ebensoweit entfernt vom Wesen Gottes, wie das Wesen Gottes von dem der Kreatur. Vermittelst des Wesens der Kreatur aber kann nicht erkannt werden das Wesen Gottes; also auch nicht durch das Wesen Gottes das der Kreatur. Und da nun Gott nichts erkennt außer auf Grund seines Wesens, so kann Gott die Kreatur nicht gemäß dem ihr eigentümlichen Wesen erkennen; d. h. Er erkennt sie nur im allgemeinen. III. Gott kann nicht die Dinge nach deren eigenem Seinsgrunde erkennen. Denn Er erkennt nur vermittelst seines Wesens; das göttliche Wesen aber ist nicht das eigene Wesen vieler und Verschiedener Dinge. Also erkennt Er nur im allgemeinen, daß sie sind. Auf der anderenSeite sagt Paulus (Hebr. 4,12.): „Das Wort Gottes dringt vor bis zum Unterschiede zwischen Geist und Seele; bis zur Geschiedenheit, welche die Nerven und Muskeln vom Marke trennt; Er unterscheidet die Gedanken des Herzens und die sie leitenden Absichten; keine Kreatur ist unsichtbar vor seinen Augen.“ Danach kennt also Gott die Kreaturen, soweit sie voneinander unterschieden sind, d. h. nach ihrem eigensten Sein.
b) Ich antworte, daß in diesem Punkte manche geirrt haben, die da behaupteten, Gott erkenne anderes Sein, als Er selber ist, nur im allgemeinen, nur insoweit nämlich, als diese Dinge ebenfalls Sein haben. Gleichwie nämlich das Feuer, falls es sich selbst erkannte als Quelle der Wärme, dann auch die Natur der Wärme wüßte und alle anderen Dinge, insoweit sie warm sind; so soll Gott, insofern Er sich als das Princip des Seins erkennt, auch die Natur des Seins und alle anderen Dinge erkennen, insoweit sie eben nur im allgemeinen sind. Doch so kann sich die Sache nicht verhalten. Denn etwas nur im allgemeinen erkennen und nicht insoweit jedes Ding ein besonderes Sein für sich hat und von den anderen unterschieden ist, das heißt dasselbe in unvollkommener Weise erkennen. Deshalb fängt auch unsere Vernunft, die aus dem Zustande eines reinen Vermögens zum thatsächlichen Erkennen gelangt, in ihrer Kenntnis vom allgemeinen an und erkennt zuerst in unklarer Weise, nämlich nur was den Dingen gemeinsam ist, wie z. B. daß etwas ist oder sich bewegt u. s. w.; und erst nach und nach dringt sie durch bis zur Kenntnis alles dessen, wodurch der Erkenntnisgegenstand ein besonderes, vom anderen unterschiedenes Sein hat; denn unsere Vernunft schreitet vom Unvollkommenen zum Vollkommenen voran. Würde also Gott ebenso nur im allgemeinen die Dinge erkennen, nämlich daß sie alle nur einfach sind, so wäre sein Wissen nicht ein allseitig vollkommenes und folgerichtig wäre auch sein Sein nicht vollkommen, was alles gegen das bereits Dargethanene verstößt. Gott also muß die anderen Dinge, die nicht Er selbst sind, erkennen, insofern sie ein besonderes, von allem anderen geschiedenes Sein haben und nicht bloß gemäß dem, was allem gemeinschaftlich ist. Und damit nun diese Wahrheit recht klar werde, muß erwähnt werden, wie einige, die da zeigen wollten, daß Gott vermittelst der Einheit, nämlich vermittelst ein und derselben species intelligibilis vieles erkennt, sich mehrfacher Beispiele bedienen: wie etwa daß, wenn der Mittelpunkt eines Kreises sich selbst erkannte, derselbe auch alle Linien erkennen würde, deren Ausgangspunkt er ist; oder wenn das Licht sich selbst erkennen würde, ihm auch alle Farben bekannt sein müßten. Diese Beispiele jedoch sind wohl mit Rücksicht auf einen Punkt ähnlich, denn sie gehen aus von der allumfassenden Ursächlichkeit. Darin aber sind sie mangelhaft, daß von jenem allgemeinen Princip, welches sie erwähnen, die Vielheit und Verschiedenheit nicht verursacht wird, soweit es auf die Verursachung dessen ankommt, worin das eine vom anderen sich unterscheidet. Sie berücksichtigen nur die Frage nach der Ursache dessen, was dem einen wie dem anderen gemeinschaftlich ist. Denn die Verschiedenheit zwischen den Farben rührt nicht vom Lichte allein her, sondern hat ihren Grund in der verschiedenen Beschaffenheit des beleuchteten Gegenstandes; und ähnlich hängt die Verschiedenheit der Linien von ihrer verschiedenen Lage ab und nicht allein vom Mittelpunkte. Und da her rührt es, daß eine solche Vielheit und Verschiedenheit nicht erkannt werden kann in ihrem Princip gemäß dem, was das eine zum Unterschiede vom anderen Eigenes hat, sondern allein gemäß dem, was dem einen mit dem anderen gemeinsam ist. In Gott aber ist dies nicht so. Denn was auch immer ein Geschöpf an Vollkommenheit besitzt, das alles ist von vornherein vor allem Geschöpflichen in Gott; und Gott schließt es in Sich ein in unendlich hervonagender Weise. Nun muß aber nicht nur das, was den Kreaturen gemeinsam ist, als Vollkommenheit betrachtet werden, sondern auch das, worin sich die eine von der anderen unterscheidet; wie z. B. erkennen, leben und dgl., wodurch die nicht erkennenden und nicht lebenden Seinsarten, von denen sich unterscheiden, die da leben und erkennen. Und so ist ganz ohne Ausnahme jede Seinsform, der gemäß irgend welche beliebige Sache ihre Eigenart hat und ein von anderem unterscheidendes besonderes Sein besitzt, als etwas Vollkommenes anzusehen. In dieser Weise also existieren alle Dinge, ehe sie ihr eigenes subjektives Sein haben, von vornherein in Gott nicht nur gemäß jenen Vollkommenheiten, welche ihnen gemeinsam sind, sondern auch gemäß jenen anderen, in denen sich das eine vom anderen scheidet. Und da nun Gott alles Vollkommene in Sich enthält, so steht das Wesen Gottes in Beziehung zu den Wesenheiten aller Dinge nicht etwa wie das allgemeine zum besonderen, wie z. B. die Gattungsart „Mensch“ zum einzelnen besonderen Menschen, oder wie die Einheit zu den verschiedenen Zahlen und der Mittelpunkt zu den Linien; sondern wie die vollkommene Thätigkeit zur unvollkommenen, wie wenn ich sagen wollte, wie der Begriff „Mensch“ zum Begriffe „Tier“ oder wie die Sechszahl als eine vollkommene Zahl zu den unvollkommeneren, die in ihr enthalten sind. Es ist aber ganz offenbar, daß die vollkommene Thätigkeit das Mittel ist für die Erkenntnis der minder vollkommenen und zwar nicht nur dafür daß letztere im allgemeinen also in dem, was ihnen gemeinsam ist, erkannt werden, sondern auch im besonderen, in dem, was sie unterscheidet von anderen, im Abstande nämlich von der vollkommenen; wer da die Natur der Sechszahl kennt, der weiß ja auch den besonderen Charakter der Dreizahl. Da also in dieser Weise das Wesen Gottes Alles in sich besitzt, was auch immer Vollkommenes im Wesen eines jeden von Ihm verschiedenen Dinges sich vorfindet und noch bei weitem mehr, so kann Gott in sich selber alle Dinge nach ihrem besonderen Sein, durch welches sie sich voneinander und von Gott unterscheiden, erkennen. Denn die eigene besondere Natur eines jeden Seins wird danach bemessen, in welchem Grade und in welcher Art und Weise es an der göttlichen Vollkommenheit teilnimmt. Gott aber würde nicht in vollkommener Weise Sich selbst erkennen, wenn er nicht jede Art und Weise wüßte, in welcher andere Dinge an seiner Vollendung Anteil nehmen können. Zudem würde Er auch nicht die Natur des Seins in aller Vollkommenheit durchdringen, wenn Er nicht wüßte, in wie vielfach gearteter Weise etwas sein kann. Daher ist es ganz klar, daß Gott alle Dinge erkennt, ein jedes nach seinem besonderen Sein, wodurch es sich unterscheidet von anderen.
c) I. Etwas so kennen wie es im Erkennenden ist, das hat einen zweifachen Sinn. Erstens: daß es gekannt ist nach dem Sein, das es im Erkennenden hat. Und so ist es falsch. Das Auge z. B. kennt den Stein nicht nach dem Sein, das der Stein im Auge hat. Es sieht nicht das im Auge befindliche Lichtbild des Steines, sondern es erkennt nach ihn dem Sein, das selbiger außen hat. Und wenn auch die Vernunft den Stein zugleich erkennen kann als Idee, nach dem Sein nämlich, das er in der Vernunft hat, so ist doch damit zugleich vorausgesetzt, daß sie zuvörderst und direkt den Stein kennt nach dem Sein, welches er außen an sich hat. Zweitens: Wird das „wie“ im Erkennenden aber auf den Erkennenden selber bezogen, so ist der Satz richtig. Denn je vollkommener der Gegenstand vermittelst der Erkenntnisform oder der Idee die Vernunft bethätigt und durchdringt, desto vollkommener wird selbiger erkannt. So ist also zu sagen: Gott erkennt die Dinge nicht nur nach dem Sein, das sie in Ihm haben; sondern dadurch selber, daß Er in Sich selbst die Dinge zusammenhält, erkennt er sie in deren eigener Natur und zwar desto vollkommener je vollkommener sie in Ihm sind. II. Das Wesen der Kreatur steht im nämlichen Verhältnisse zum Schöpfer wie das Unvollkommene zum Vollendeten. Durch das Unvollkommene kann aber nicht das Vollendete erkannt werden. III. Das Nämliche kann nicht auf der gleichen Seinsstufe den formalen Seinsgrund für dem Wesen nach Verschiedenes bilden. Gottes Wesen aber ist erhaben über die Seinsstufe aller Kreatur. Also kann Er angesehen werden als der eigenste Seinsgrund für jede Kreatur, insoweit in verschiedener Weise die verschiedenen Kreaturen seine Vollkommenheiten nachahmend mehr oder minder ausdrücken.
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