Vierter Artikel. Der Glaube ist vor der Hoffnung, die Hoffnung vor der Liebe.
a) Die Ordnung der drei theologischen Tugenden scheint eine andere zu sein. Denn: I. Die Wurzel ist eher als das, was aus der Wurzel her ersteht. Die Liebe aber ist die Wurzel aller Tugenden nach Eph. 3.: „Festgewurzelt und gegründet in der Liebe.“ Also die Liebe ist vor den beiden anderen. II. Augustin (1. de doctr. chr. 37) sagt: „Es kann nicht jemand lieben das, was er nicht glaubt, daß es existiert. Glaubt er nun und liebt er, so macht er dadurch daß er gut wirkt auch dies, daß er hofft.“ Also scheint der Glaube der Liebe, die Liebe der Hoffnung vorherzugehen. III. Die Liebe ist das Princip aller Zuneigung, wie Kap. 25, Art. 2. gesagt worden. Die Hoffnung aber besagt eine Zuneigung; denn sie ist eine gewisse Leidenschaft. Also geht die Liebe vorher der Hoffnung. Auf der anderen Seite steht die Reihenfolge beim Apostel. (1. Kor. 13.)
b) Ich antworte, doppelt sei eine Ordnung aufzufassen als Ordnung im Entstehen oder Gezeugtwerden und als Ordnung des Vollendetseins. Dem Entstehen oder Erzeugtwerden nach, wo der Stoff oder das Bestimmbare früher ist wie die bestimmende Form, geht in ein und derselben Person der Glaube der Hoffnung vorher und die Hoffnung der Liebe; und zwar soweit von der Thätigkeit die Rede ist und nicht von den Zuständen an sich, denn diese werden zugleich eingegossen. Nicht nämlich kann das Begehren nach etwas streben, sei es durch Hoffnung sei es durch Liebe, was nicht mit dem Sinne oder mit der Vernunft erfaßt worden. Durch den Glauben allein aber wird erfaßt, was man hofft oder liebt. Also in dieser Weise geht der Glaube vorher der Hoffnung und der Liebe. Ähnlich nun liebt der Mensch deshalb etwas, weil er es erfaßt als sein Gut. Dadurch aber daß jemand hofft, von einem anderen etwas Gutes erreichen zu können, erachtet er diesen, auf welchen er diese Hoffnung setzt als gewissermaßen sein Gut. Daß also der Mensch von jemandem etwas hofft, daraus geht es hervor, daß er ihn liebt. Und demgemäß geht in der Ordnung des Entstehens die Hoffnung vorher der Liebe. Der Ordnung des Vollendetseins gemäß aber geht die Liebe voraus dem Glauben und der Hoffnung, denn sowohl der Glaube wie die Hoffnung erhält erst durch die Liebe die gebührende Form und wird so als Tugend vollendet. Und so ist die Liebe die Wurzel und Mutter aller Tugenden, insoweit sie die Tugendform aller Tugenden, die, erst durch sie geformt und vollendet, verdienstvoll wirken. (Vgl. II, II, Kap. 23, Art. 7.)
c) I. Ist damit beantwortet. II. Augustin spricht von der Hoffnung, kraft deren jemand vermöge der Verdienste, die er bereits gewonnen, hofft, die Seligkeit zu erhalten; dies aber ist vollendete, geformte Hoffnung, welche der Liebe folgt. Bevor er die Liebe hat, kann jemand hoffen infolge der Verdienste, die er zu haben hofft. III. Die Hoffnung berücksichtigt zweierlei: 1. das Gute, was gehofft wird und mit Rücksicht darauf geht die Liebe immer der Hoffnung vorher; denn niemand erhofft, was er nicht verlangt und liebt; — 2. den, von dem er das Gute zu erlangen hofft; und mit Rücksicht auf diesen geht zuerst die Hoffnung voran der Liebe, obgleich nachher von der Liebe selbst aus die Hoffnung vermehrt wird. Denn dadurch selbst daß jemand erachtet, er könne durch den anderen ein Gut erhalten, fängt er an, diesen zu lieben; und weil er ihn liebt, darum hofft er dann in um so höherem Grade von ihm.
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