Fünfter Artikel. Die heilige Liebe kann nicht sein ohne Glaube und Hoffnung.
a) Dem steht entgegen: I. Gott kann von uns auch kraft der Natur geliebt werden; also ohne Glauben und Hoffnung. II. Die Liebe ist die Wurzel aller Tugenden nach Ephes. 3, 17. Die Wurzel aber ist manchmal ohne die Äste. Also kann die Liebe sein ohne die anderen Tugenden. III. Christus hatte vollkommene Liebe, nicht aber Glaube und Hoffnung; denn Er war nie Erdenpilger, sondern immer im Stande der Seligkeit. Auf der anderen Seite „ist es unmöglich, ohne Glauben Gott zu gefallen“ nach Hebr. 11, 6., was doch im höchsten Grade der Liebe zukommt, nach Prov. 8.: „Ich liebe, die mich lieben.“ Die Hoffnung führt ebenfalls in die Liebe ein. Also kann die heilige Liebe nicht bestehen ohne Glaube und Hoffnung.
b) Ich antworte, die heilige Liebe besage zugleich eine gewisse Freundschaft, welche zur einfachen Liebe hinzufügt „wechselseitige Gegenliebe mit einer gewissen gegenseitigen Gemeinschaftlichkeit;“ nach 8 Ethic. 2. Und daß dies zur heiligen Liebe gehört, ist klar aus 1 Joh. 4.: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm;“ und 1 Kor. 1.: „Getreu ist Gott, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohne.“ Diese Gemeinschaft nun des Menschen mit Gott wird wohl im qegenwärtigen Leben begonnen; vollendet aber wird sie werden in der Herrlichkeit, Beides jedoch wird festgehalten durch den Glauben und die Hoffnung. Wie also jemand mit einem anderen keine Freundschaft haben könnte, wenn er nicht glaubte oder daran verzweifelte, mit ihm Verkehr und Vertraulichkeit haben zu können; so kann auch niemand heilige Liebe zu Gott besitzen, wenn er nicht glaubt an einen solchen Verkehr und an eine solche Gemeinschaft mit Gott und wenn er nicht hofft, einst Anteil daran zu haben.
c) I. Die heilige Liebe ist nicht eine beliebige Liebe; sondern jene, welche auf Gott als übernatürlichen Zweck sich richtet. II. Die heilige Liebe ist die Wurzel von Glaube und Hoffnung, weil sie diesen Tugenden die Vollendung giebt; gemäß der ihnen eigenen Natur aber wird Glaube und Hoffnung von der Liebe vorausgesetzt. (Kap. 62, Art. 4.) III. In Christo war nichts Unvollkommenes. Anstatt des Glaubens hatte Er die Anschauung des göttlichen Wesens; anstatt der Hoffnung den Besitz.
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