Erster Artikel. Die Seligkeiten sind unterschieden von den Tugenden und Gaben.
a) Dem Gegenteile scheint sich zuzuwenden: I. Augustin (lib. 1. de serm. Dom. in monte cap. 4.), der die bei Matth. 5. aufgezählten Seligkeiten den Gaben zuteilt. Ambrosius aber schreibt die bei Luk. 6. aufgezählten Seligkeiten den vier Kardinaltugenden zu. Also ist kein Unterschied zwischen den Seligkeiten einerseits und den Tugenden und Gaben andererseits. II. Nur einer doppelten Regel folgt der menschliche Wille, der Vernunft und dem ewigen Gesetze. Die Tugenden nun vollenden den Menschen mit Rücksicht auf die eigene Vernunft; die Gaben gemäß dem ewigen Gesetze des heiligen Geistes. Also kann nur Gaben und Tugenden es geben für die Geradheit des menschlichen Willens; und sonach werden die Seligkeiten, davon nicht unterschieden. III. Unter den Seligkeiten finden wir die Sanftmut, die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit, die als Tugenden bezeichnet werden. Also besteht da kein Unterschied zwischen den Seligkeiten und den Tugenden und den Gaben. Auf der anderen Seite werden als Seligkeiten aufgezählt die Armut, die Trauer und der Frieden, die weder Tugenden sind noch Gaben.
b) Ich antworte, die Seligkeit sei der letzte Endzweck des menschlichen Lebens. Man sagt nun von jemandem, er habe bereits den Zweck, wenn er sichere Hoffnung besitzt, ihn zu erlangen. Deshalb schreibt Aristoteles (1 Ethic. 9.): „Die Kinder werden selig genannt auf Grund der Hoffnung;“ und Röm. 8. heißt es: „Durch die Hoffnung sind wir heil geworden.“ Die Hoffnung auf die Erreichung des Zweckes aber ersteht daraus, daß etwas gebührenderweise zum Zwecke hin in Bewegung ist und demselben sich nähert; was nämlich durch irgend eine Thätigkeit geschieht. Zum Zwecke der Seligkeit hin jedoch ist jemand in Bewegung und nähert sich demselben durch die Thätigkeiten der Tugenden und zumal durch die den Gaben entsprechenden Thätigkeiten, wenn wir von der ewigen Seligkeit sprechen, wozu ja die Vernunft allein nicht genügt, sondern zu welcher der heilige Geist hinleitet; insoweit wir durch die Gaben vollendet werden, um Ihm zu folgen und zu gehorchen. Und deshalb sind die Seligkeiten wohl unterschieden von den Tugenden und Gaben, jedoch nicht wie eigene Zustände; sondern wie Akte oder Thätigkeiten unterschieden werden von den entsprechenden Zuständen.
c) I. Augustinus und Ambrosius schreiben die Seligkeiten den Tugenden und Gaben zu, wie man Thätigkeiten oder Akte ihren entsprechenden Zuständen zuteilt. Die Gaben aber stehen höher wie die Kardinaltugenden. Deshalb schreibt Ambrosius die Seligkeiten, welche den Volksscharen vorgelegt sind, den Kardinaltugenden zu. Augustin aber erklärt die Seligkeiten, die auf dem Berge den Jüngern als den Vollkommeneren vorgelegt worden sind und schreibt sie den Gaben zu. II. Es giebt keine anderen Zustände, welche den Willen regeln, außer den Tugenden und Gaben. III. Sanftmut, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit werden da genommen für die diesbezüglichen Thätigkeiten. Und wenn dies auch Tugenden sind, so werden sie als Thätigkeiten trotzdem den Gaben zugeschrieben, weil die Gaben in dem Allem den Menschen ebenfalls vollenden, worin die Tugenden ihn vollenden.
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