Zweiter Artikel. Die den Seligkeiten beigefügten Belohnungen gehören dem gegenwärtigen Leben an.
a) Es scheint, daß dies nicht der Fall ist. Denn: I. Es werden einzelne selig genannt wegen der Hoffnung auf die Belohnungen; wie eben (Art. 1.) gesagt worden. Der Gegenstand der Hoffnung aber ist die zukünftige Seligkeit. Also diese Belohnungen hier beziehen sich auf das zukünftige Leben. II. Luk. 6. werden Strafen angegeben im Gegensatze zu den Seligkeiten; wenn gesagt wird: „Wehe euch, die ihr gesättigt seid, weil ihr hungern werdet; wehe euch, die ihr jetzt lachet, weil ihr trauern und wehklagen werdet.“ Diese Strafen werden aber nicht als zeitliche, in diesem Leben zu verhängende aufgefaßt, weil in diesem Leben die Menschen oft genug nicht gestraft werden nach Job 21.: „Und im Glücke verbringen sie ihre Tage.“ Also gehören auch die dazu im Gegensatze genannten Belohnungen der Seligkeiten nicht in dieses Leben. III. Das Reich der Himmel als Lohn der Armut ist die himmlische Seligkeit, wie Augustin (19. de civ. Dei 4. et 20., 1. serm. in monte 1.) bemerkt. Auch die volle Sättigung gehört dem zukünftigen Leben an nach Ps. 16.: „Ich werde gesättigt sein; wenn Deine Herrlichkeit erscheinen wird.“ Ebenso ist das Anschauen Gottes nicht auf dieses Leben zu beziehen nach Joh. 3.: „Jetzt sind wir Söhne Gottes, aber noch nicht ist erschienen, was wir sein werden; denn wir wissen, wenn Er erscheinen wird, werden wir Ihm ähnlich sein und werden Ihn sehen wie Er thatsächlich ist.“ Also gehören jene Belohnungen ins künftige Leben. Auf der anderen Seite sagt Augustin (1. de serrm. in monte cap. 4.): „Diese (Belohnungen) da können in diesem Leben vollendet werden, wie wir glauben, daß sie bei den Aposteln sich vollendet haben; denn jene allseitige und engelgleiche Umwandlung, die für das zukünftige Leben verheißen wird, kann mit keinerlei Worten auseinandergesetzt werden.“
b) Ich antworte, manche unter den Schriftauslegern haben diese Belohnungen auf das zukünftige Leben bezogen, wie Ambrosius (l. c.). Augustinus aber sagt, sie bezögen sich auf dieses Leben. Und Chrysostomus (hom. 15. in Matth.) verlegt einen Teil in dieses und einen Teil in das zukünftige Leben. Zur Klarstellung also müssen wir erwägen, daß die Hoffnung auf die zukünftige Seligkeit in uns sich finden kann wegen zweierlei: 1. wegen einer gewissen Vorbereitung in uns für das zukünftige Leben, die da besteht nach Weise des Verdienstes; — 2. wegen eines gewissen, wenn auch eines höchst unvollkommenen Anfanges der zukünftigen Herrlichkeit in uns, wie dies bei heiligen Männern in diesem Leben statthat. Denn eine andere Hoffnung auf Früchte von einem Baume ist es, wenn dieser grünt und blüht; und eine andere, wenn Früchte bereits zu erscheinen beginnen. So also etwa ist in den Seligkeiten das, was als Verdienst gesetzt wird, wie eine Vorbereitung zur Seligkeit nach Weise des Verdienstes. Was aber als Belohnung dasteht, kann betrachtet werden entweder als die vollendete Seligkeit und so gehört dies dem zukünftigen Leben an; oder als ein gewisser Anfang der Seligkeit, wie er in den vollkommenen Männern sich findet und so gehören diese Belohnungen in das gegenwärtige Leben. Denn wenn jemand beginnt Fortschritte zu machen in den Thätigkeiten der Tugenden und Gaben, kann man hoffen, er werde zur Vollendung gelangen, wie sie jetzt der Pilgerweg und später wie sie die Heimat bietet.
c) I. Die Hoffnung richtet sich auf die zukünftige Seligkeit, wie auf den letzten Endzweck; sie kann aber auch auf den Beistand der Gnade sich richten, wie auf das, was zum Endzwecke hinführt nach Ps. 27.: „Auf Gott hat mein Herz gehofft und ich bin unterstützt worden.“ II. Die Bösen leiden manchmal in diesem Leben keine zeitlichen Strafen; dafür erleiden sie aber geistige. Deshalb sagt Augustmus (1. Conf. 12.): „Du hast so gewollt, Herr; und so ist es. Strafe ist sich selbst jeder in sich ungeregelte Geist.“ Aristoteles auch schreibt (9 Ethic. 4.) von den Bösen: „Ihr Geist zieht sie unruhig bald dahin bald dorthin. . . Wenn es aber so elendsvoll ist, böse zu sein, müssen wir die Bosheit mit aller Kraft fliehen.“ Und ähnlich ist es bei den Guten. Es fehlt ihnen manchmal der zeitliche Lohn, aber dafür fließt ihre Seele über bereits in diesem Leben von geistigen Gütern; so daß Matth. 19. und Mark. 10. es heißt: Hundertfach werdet ihr erhalten… auch in dieser Zeit.“ III. Alle jene Belohnungen haben ihre Vollendung im künftigen Leben; den Anfang nur bildet dieses Leben. Denn als Himmelreich kann verstanden werden nach Augustin (l. c.) der Beginn der vollkommenen Weisheit, insofern in solchen Menschen der Geist zu herrschen anfängt. Das Besitzen der Erde bezeichnet die gute Hinneigung der Seele, die da vermittelst des Verlangens ruht in der Unverrückbarkeit der ewigen Erbschaft, auf welche der Ausdruck „Erde“ hindeutet. Sie werden aber getröstet auf dieser Erde bereits dadurch, daß sie den heiligen Geist in sich empfangen, den „Tröster“. Gesättigt werden sie mit jener Speise, von welcher der Herr sagt (Joh. 4.): „Meine Speise ist es, den Willen des himmlischen Vaters zu thun.“ Ebenso erlangen sie in diesem Leben die Barmherzigkeit Gottes. Mit gereinigtem Auge, das von der Gabe des Verständnisses nämlich gereinigt worden, schauen sie gewissermaßen in diesem Leben Gott. Und ähnlich werden sie Kinder Gottes genannt, wenn sie in diesem Leben alle Thätigkeiten ihrer Vermögen im Frieden darauf richten, daß sie Gott ähnlich werden.
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