Erster Artikel. Das Verhältnis der Wahrheit zur Vernunft und zu den Dingen.
a) Die Wahrheit scheint m«hr den Dingen innezuwohnen, als der Vernunft. Denn: I. Augustin (8. Soliloq. cap. 5.) mißbilligt diesen Ausdruck: „Wahr ist das, was gesehen wird;“ weil danach die Steine, welche in der Erde verborgen sind, deshalb nicht wahre Steine wären, weil sie nicht gesehen würden. Er mißbilligt (I. c.) ebenso jene andere Definition: „Wahr ist, was sich so verhält, wie es dem Erkennenden erscheint, wenn derselbe es erkennen will und kann; weil daraus hervorginge, daß nichts wahr wäre, wenn niemand es erkennen könnte. Schließlich bestimmt er begrifflich das Wahre so: „Wahr ist das, was ist.“ Und damit scheint die Wahrheit mehr in den Dingen zu sein wie in der Vernunft. II. Was auch immer wahr ist, dies ist kraft der Wahrheit war. Wenn also die Wahrheit nur in der Vernunft sich vorfindet, so wäre nichts in anderer Weise, als je nach dem es verstanden wird. Und dies wäre der Irrtum der alten Philosophen (vgl. 11. Metaph.), die da sagten, alles sei wahr, je nach dem es erscheine. Danach würde, was sich gegenseitig widerspricht, auf beiden Seiten zugleich wahr sein, da von verschiedenen Menschen es verschieden aufgefaßt würde; der eine vom fraglichen Dinge das Gegenteil denke dessen, was der andere denkt.. III. Wenn etwas seine Beschaffenheit oder sein Wesen irgend einem Sein als seinem Grunde verdankt, so ist dieses selbe Wesen oder diese selbe Beschaffenheit in höherem Grade im letzteren, im Grunde nämlich enthalten als im ersteren, was vom Grunde abgeleitet ist. (l. Posterior.) Auf Grund dessen aber ist eine Aussage oder eine Meinung wahr, weil das entsprechende Ding, auf welches die Aussage sich richtet, so ist oder nicht ist. Also ist die Wahrheit mehr in den Dingen wie in der Vernunft. , Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (Metaph. lib. 6.): „Das Wahre oder das Falsche ist nicht in den Dingen, sondern in der Vernunft.“
b) Ich antworte, daß, sowie etwas insofern „gut“ genannt wird als das Begehrungsvermögen darauf sich richtet, so wird etwas demgemäß „wahr“ genannt als die Vernunft sich darauf richtet. Darin ist jedoch ein Unterschied zu beachten. Denn die Erkenntnis geschieht insoweit, als das Erkannte im Erkennenden ist; das Begehren aber geschieht insoweit, als der Begehrende sich hinneigt zum begehrten Gegenstande in dessen subjektivem, außenstehenden Sein. Danach ist also das Ziel, welches für das, Begehrungsvermögen die Grenze bildet, das Gute, in dem erstrebten Dinge. Das Ziel aber, welches für das Erkennen die Grenze bildet, ist im Erkennenden, respektive innerhalb der Vernunft. So wie aber der maßgebende Grund des Guten in dem erstrebten Dinge ist, insoweit dieses Beziehung zum Begehrungsvermögen hat und so das Wesen des Guten vom außenstehenden Dinge sich ableitet; so wie also das Begehrungsvermögen „gut“ genannt wird, weil und insofern es auf das Gute sich richtet; — so ist es auch, insofern das Wahre in der Vernunft sich findet und diese gleichförmig wird dem verstandenen Dinge, notwendig, daß der maßgebende Grund des Wahren innerhalb der Vernunft sei und daß somit der Charakter oder das Wesen des Wahren im außenstehenden Dinge aus der Vernunft heraus sich ableite. Deshalb wird dann ein verstandenes Ding wahr genannt, weil und insofern es Beziehung hat zur Vernunft. Ein solch verstandenes Ding aber kann in doppelter Weise aufgefaßt werden als in Beziehung stehend zur Vernunft. Dasselbe hat 1. Beziehung zu jener Vernunft, von der es in seinem Sein abhängt; und diese Beziehung ist per se, d. h. ohne weitere Voraussetzung, vielmehr ist sie vorausgesetzt von allen anderen ähnlichen Beziehungen. Das gleiche Ding hat 2. Beziehung zu jene Vernunft, seitens deren es erkannt werden kann; und diese Beziehung ist nebensächlich per accidens, eine auf die erstgenannte begründete. So würden wir sagen, die Beziehung des Hauses zum Baumeister gehöre zur ersten Gattung; die Beziehung des Hauses zu jenem, der es nur sich ansieht, zur zweiten. Ein Urteil aber über irgend welche Sache wird nicht aus dem Nebensächlichen genommen, sondern aus dem Wesentlichen. Und so geschieht es, daß Kunstwerke „wahr“ genannt werden nur mit Rückficht auf unsere Vernunft; denn ein Haus wird „wahr“ genannt, wenn es in seiner Form der Ähnlichkeit entspricht, welche davon in der Vernunft des Baumeisters besteht; und eine Redeweise wird als „wahr“ bezeichnet, je nachdem sie der Ausdruck wirklicher Auffassung der Vernunft ist. In ähnlicher Weise sind die Dinge in der Natur „wahr“, insoweit sie ähnlich sind den Formen oder Ideen in der göttlichen Vernunft; wie z. B. ein Stein „wahr“ ist, wenn er die Natur in sich hat, welche ihm gemäß der vorherbestehenden Auffassung der göttlichen Vernunft zukommt. So also wird ein jedes Ding „wahr“ genannt, je nachdem es Beziehung hat zu der Vernunft, von der es in seinem Sein abhängt; und somit ist die Wahrheit in erster Linie in der Vernunft,“ in zweiter Linie in den Dingen, insoweit diese Beziehung haben zu einer Vernunft als zu ihrem Princip. Demgemäß wird nun die Wahrheit in verschiedener Weise begrifflich bestimmt. Denn Augustin (de vera relig. cap. 36.) sagt: „Wahrheit ist jenes Moment, wodurch gezeigt und erklärt wird das, was Sein hat;“ und Hilarius ähnlich(5. de Trin.): „Das Wahre offenbart und erklärt das Sein.“ Diese beiden Definitionen gehören der Wahrheit an; insoweit sie in der Vernunft ist. Der Wahrheit des Dinges aber, insoweit dieses der Vernunft Gleichförmig ist, entspicht folgender Ausdruck: „Das.Wahre ist die höchste Ähnlichkeit mit dem Princip ohne irgend Welche Unähnlichkeit.“ (Augustin I. c.) Ähnlich definiert Anselm (dial. de Verit. cap. 12.): „Wahrheit ist Gradheit, insoweit diese von der Vernunft allein wahrnehmbar ist;“ denn „gerade“ ist, was mit dem Princip übereinstimmt. Avicenna sagt gleichfalls: „Wahrheit ist für ein jedes Ding die Eigentümlichkeit seines Seins, wie dieselbe ihm bestimmt worden.“ Wenn aber gesagt wird, Wahrheit sei Gleichheit zwischen dem Dinge und der Vernunft, so kann das zu beiden Seiten gehören:
c) I. Augustin spricht an dieser Stelle von der Wahrheit der Dinge und schließt davon als nicht notwendig auf die Beziehung zu unserer Vernunft. Denn was nebensächlich ist, davon wird bei jeder Definition abgesehen. II. Die alten Philosophen hatten nicht erkannt, daß alle Dinge von einer ersthen leitenden Vernunft herrührten, sondern meinten, sie kämen vom Zufalle. Und da sie sahen, daß die Wahrheit mit sich bringe die Beziehung zur Vernunft, waren sie gezwungen, das Wesen des Wahren in die Beziehung der Dinge zu unserer Vernunft zu setzen. Die Unzukömmlichkeiten, die damit verbunden sind, werden hier vermieden, da das absolut Wahre in den Dingm der Natur aus der Beziehung zur göttlichen Vernunft herrührt. III. Die Wahrheit in unserer Vernunft kommt allerdings von den Dingen und wird von denselben in uns verursacht. Aber daraus folgt nicht, daß das Wesen der Wahrheit in erster Linie in den Dingen gefunden werde; wie etwa auch unsere Gesundheit von der Medizin verursacht wird und doch nicht die Gesundheit in erster Linie und dem Wesen nach von der Medizin ausgesagt wird. Denn die Kraft der Medizin, nicht ihre Gesundheit verursacht, daß wir geheilt werden; sie ist kein gleichartiges Wesen mit der Gesundheit des tierischen Körpers. Und ähnlich verursacht in uns das Sein, das wirkliche, thatsächliche Sein der Dinge, die Wahrheit. Nicht daß die Dinge wahr sind, ist die Ursache der Wahrheit in unserer Vernunft, sondern daß sie Seinskraft halen. Deshalb sagt Aristoteles: „Die Rede ist wahr deshalb, weil das Ding, von dem sie gilt, so ist; und nicht sagt er, weil das Ding wahr ist. . .
