Zweiter Artikel. Die Wahrheit ist bloß insoweit in unserer Vernunft, als diese Prädikat und Subjekt zusammensetzt oder voneinander trennt.
a)I. Gegen diesen Satz spricht sich Aristoteles anscheinend aus, wenn er sagt (III. de anim.): „Die Sinne, insofern sie den ihnen eigenen Gegenstand auffassen (wie das Auge das Licht), sind immer wahr, sie fassen immer richtig auf; und so ist auch die Vernunft immer wahr, insoweit sie das Wesen der Dinge in sich aufnimmt.“ Zusammensetzen oder trennen kommt aber der Vernunft nicht zu, insoweit diese das Wesen des Dinges für sich allein, also „Mensch“, „Holz“, etc. auffaßt. Also nicht einzig und allein in der Thätigkeit des Verbindens und Trennens ist Wahrheit. ll.Isaak sagt (in lib.de definitionibus): „Wahrheit ist die Gleichheit zwischen dem Dinge und der Vernunft.“ Wie aber die Auffassung des im Satze oder im Urteil zusammengesetzten, z. B. der Mensch ist weiß, dem äußeren Thatbestande entsprechen kann, so auch die einfache Auffassung des Wesens „Mensch“, „weiß“. Also ist da ebensogut Wahrheit wie im Sinne, welcher rein die äußere Erscheinung des Dinges auffaßt. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (6. Metaph.): „Richtet sich die Vernunft auf das Wesen nur und auf Einfaches, so ist da keine Wahrheit, weder im Gegenstande noch in der Vernunft.“ .
b) Ich antworte, daß das Wahre, wie eben gezeigt worden, gemäß seinem Wesen immer in der Vernunft ist. Da aber jegliches Ding wahr ist, je nachdem es die seiner Natur entsprechende Form zu eigen hat, so ist es notwendig, daß die Vernunft, insoweit sie erkennt, wahr ist, je nachdem sie die Ähnlichkeit des erkannten Dinges in sich hat; und diese Ähnlichkeit ist die bestimmende Form in der erkennenden Vemunft als einer erkennenden. Dies ist der Grund, weshalb die Wahrheit definiert wird als Gleichheit des Dinges und der Vemunft, denn eben die nämliche Form, welche außen im subjektiven Einzelsein die wesentlich bestimmende Richtschnur ist, bildet die bestimmende Richtschnur nuch im thatsächlichen Erkenntnisakte. Verschiedenheit ist nur da, insoweit beides einzelne Wirklichkeit hat. Auf Grund dieser gleichen Form ist Ähnlichkeit oder genauer Gleichheit zwischen dem einzelnen Dinge und der Vemunft, insoweit diese erkennt; und diese Gleichheit erkennen, das heißt, die Wahrheit erkennen. , Diese aber erkennt der Sinn nicht. Das Auge hat zwar in sich die Ähnlichkeit des Sichtbaren; nicht aber erkennt es den Vergleich zwischen dem einzeln Sichtbaren und zwischen ihm selber, dem Auge, insoweit es das Sichtbare auffaßt. Die Vemunft aber erkennt die Gleichförmigkeit zwischen ihr und dem erkannten Gegenstande. Sie erkennt dies aber nicht, insofern sie das Wesen des Dinges für sich allein auffaßt. Nur wenn sie urteilt, daß die Sache sich so verhalte wie die Form ist, welche sie in sich aufgefaßt hat; dann erkennt sie und sagt sie die Wahrheit. Das aber thut sie nur auf Grund dessen, daß sie zusammensetzt das eine mit hem anderen oder das eine vom anderen trennt. Denn in jedem solcher Sätze schreibt sie eine vom Prädikat bezeichnete Form entweder der vorliegenden Sache, welche durch das Subjekt ausgedrückt ist, zu, oder entfernt sie von selbem. Deshalb ist wohl die Vernunft „wahr“, insoweit sie das Wesen eines Dinges einfach und allein auffaßt; und ebenso ist der Sinn „wah«“, der den ihm eigenen Gegenstand auffaßt; aber nicht als ob eine von beiden Fähigkeiten das Wahre erkannte oder sagte. Und ähnlich verhält es sich mit den bloßen Worten z. B. „Mensch“, „weiß“, etc. Demgemäß ist wohl die Wahrheit im Sinne oder in der so, wie eben auseinandergesetzt, verstandenen Vernunft; — aber sie ist gerade so wie in einem Dinge, was „wahr“ genannt wird; was also die gemäß seiner Natur ihm gebührende Form hat, z. B. der Stein, die Pflanze oder Ahnliches. Nicht jedoch wird dies in der Weise „wahr“ genannt, wie in der Vernunft, insoweit diese thatsächlich bewußterweise erkennt das Erkennbare. Und das bedeutet der Ausdruck „wahr“. Denn die Vollendung der Vernunft ist daß Wahre als etwas Gekanntes. Und deshalb, genau ausgedruckt, ist die Wahrheit in der Vernunft, insofern sie zusammensetzt und trennt, d. h. das Prädikat vom Subjekt behauptet oder entfernt; nicht aber insofern sie einfach das bloße Wesen auffaßt
