Achter Artikel. Überfluß und Mangel sind Unterscheidungsgründe für die Gattungen der Sünden.
a) Es scheint dies nicht. Denn: I. Ein „mehr“ oder „minder“ macht keinen Unterschied in der Gattung. So aber ist dieser Unterscheidungsgrund. II. Wie die Sünde im Bereiche des Thätigseins darin ihren Grund hat, daß man von der Regel der Vernunft abweicht, so ist im Bereiche des theoretischen Wissens deshalb etwas Falsches vorhanden, weil man abweicht von der Wahrheit der Sache. Die Gattung des Falschen aber wird darum keine andere, weil man mehr oder minder sagt wie die Sachlage erlaubt. Also daß man mehr oder minder abweicht von der Regel der Vernunft, macht keinen Unterschied in der Gattung der Sünde. III. „Aus zwei Gattungen wird niemals eine einzige gebildet,“ sagt Porphyrius (Jsag. ult.) und Aristoteles (Metaph. 1.). Überfluß und Mangel aber sind vereinigt in einer einzigen Sünde. Denn manche ermangeln der Freigebigkeit und sind verschwenderisch; wovon das eine den Mangel, das andere den Überfluß anzeigt. Also ist da kein Gattungsunterschied. Auf der anderen Seite sind „Dinge, die zu einander im unmittelbaren (konträren) Gegensatze stehen, verschieden in der Gattung,“ denn „ein solcher Gegensatz besagt eben „den Unterschied gemäß der bestimmenden Form“ nach metaph. 10. Laster aber, die nach Überfluß und Mangel voneinander unterschieden dastehen, sind untereinander entgegengesetzt, wie der Mangel an Freigebigkeit dem Verschwenden. Also ist da ein Unterschied in der Gattung.
b) Ich antworte, in der Sünde werde die Gattung nicht bestimmt nach der Entfernung von der Regel der Vernunft, also nach der in ihr bestehenden Unordnung und Regellosigkeit; sondern vielmehr nach dem Gegenstande, auf den sich die Absicht des Handelnden richtet. Wo also ein verschiedener Beweggrund hervortritt, der da hinneigt zum Handeln; da ist eine verschiedene Gattung der Sünde. Offenbar aber ist bei den Sünden, die gemäß dem Überflusse geschehen, nicht der nämliche Beweggrund wie bei jenen, die auf den Mangel gehen; im Gegenteil sind diese Beweggründe einander entgegengesetzt. So z. B. ist bei der Unmäßigkeit der Beweggrund die Liebe zur körperlichen Ergötzung; bei der stumpfen Gefühllosigkeit der Haß derselben. Also sind dergleichen Sünden nicht nur der Gattung nach verschieden; sondern stehen einander konträr gegenüber.
c) I. Das „mehr“ und „minder“ an und für sich verursacht nicht den Unterschied in der Gattung. Jedoch ist es zuweilen davon die Folge, soweit es nämlich von verschiedenen Formen oder inneren Naturen herrührt; wie wenn man sagt, das Feuer sei leichter wie die Luft. Deshalb sagt Aristoteles (8 Ethic. 1.): „Die da annahmen, es seien die Gattungen der Freundschaft nicht verschieden, weil ein „mehr“ oder „minder“ da nur beobachtet wird, haben keinem genügenden Zeichen geglaubt.“ Und so gehört zu verschiedenen Gattungen von Sünden das Überschreiten der Vernunftregel und das Nichterreichen derselben; insoweit da von verschiedenen Beweggründen ausgegangen wird. II. Die Absicht des Sünders geht nicht dahin, daß er von der Vernunftregel abweicht; und deshalb ist da nicht die gleiche Gattung der Sünde, wenn ein zu viel oder ein zu wenig vorwaltet bezüglich der nämlichen Vernunftregel. Bisweilen aber beabsichtigt jener, welcher Falsches sagt, nur die Wahrheit zu verbergen, so daß mit Rücksicht darauf ein „mehr“ oder ,minder“ keinen Unterschied macht. Wenn jedoch das Abweichen von der Wahrheit nicht außerhalb der Absicht liegt, dann ist es offenbar, daß von verschiedenen Gründen her jemand bewogen wird, mehr oder minder zu sagen. Und danach ist der Wesenscharakter des Falschen. So bezweckt der Ruhmsüchtige, wenn er zu viel sagt, von anderen gelobt zu werden; und der Betrüger, der zu wenig sagt, will die Abzahlung der Schuld vermeiden. Und danach sind manche falsche Meinungen einander entgegengesetzt. III. Verschwenderisch und geizig kann jemand sein nach verschiedenen Seiten hin; so daß jemand z. B. geizig ist, indem er annimmt, was er nicht annehmen darf; und verschwenderisch, indem er giebt, was er nicht geben darf. Solche Gegensätze aber können ein und demselben innewohnen.
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