Vierter Artikel. Die Erbsünde ist ganz gleichermaßen in allen.
a) Dagegen spricht: I. Nicht alle sind gleichmäßig hingeneigt zum Begehren. Die Erbsünde aber ist ungeordnete Begierlichkeit. II. Die Erbsünde ist eine ungeregelte Verfassung der Seele, wie die Krankheit das ist im Körper. Die Krankheit aber läßt ein „mehr“und „minder“ zu. III. Augustin (de nup. et conc. 1, 23) sagt: „Die Begierde überträgt die Sünde auf den Sprößling.“ Nicht in allen aber ist die Begierde beim Akte des Zeugens gleich. Also kann die Erbsünde im einen größer sein, im anderen geringer. Auf der anderen Seite ist die Erbsünde die Sünde der Natur. Die menschliche Natur aber ist gleichermaßen in allen; also auch die Erbsünde.
b) Ich antworte, in der Erbsünde sei zweierlei: 1. der Mangel der Urgerechtigkeit; 2. die Beziehung dieses Mangels zur Sünde des ersten Stammvaters. Mit Rücksicht auf das Erste läßt die Erbsünde kein „mehr“ und „minder“ zu, denn das ganze Geschenk der Urgerechtigkeit ist fortgenommen. Und ebenso hat jeder Mensch gleichermaßen die nämliche Beziehung zum ersten Stammvater, von dessen Sünde sich die fehlerhafte menschliche Natur als Schuld ableitet; solche Beziehungen aber lassen kein „mehr“ und „minder“ zu.
c)I. Nachdem das einigende Band der Urgerechtigkeit gelöst worden, strebt jede Kraft der Seele eigenmächtig nach ihrem besonderen Gegenstande: und die Bewegung ist um so heftiger, je größer die betreffende Seelenkraft ist. Nun sind einzelne Seelenkräfte in dem einen stärker, im anderen schwächer, je nach der verschiedenen Komplexion des Körpers. Daß also jemand geneigter ist zum ungeregelten Begehren wie ein anderer, das kommt nicht von dem Wesen der Erbsünde; sondern von der verschiedenen natürlichen Verfassung in diesen Kräften. Denn das Band der Urgerechtigkeit ist in allen gleichmäßig gelöst; und gleichmäßig sind alle niederen Kräfte sich selbst überlassen. . II. Die körperliche Krankheit hat nicht in allen die gleiche Ursache und ist somit nicht in allen gleicher Gattung. Also ist da kein Verhältnis. III. Die Begierde, welche die Erbsünde überträgt, ist nicht die im zeugenden Akte thätige Begierde; denn wenn auch durch göttliche Kraft jemand keinerlei Begierde dabei fühlte, so würde er doch die Erbsünde übertragen. Diese Begierde ist zu verstehen dem Zustande nach, insoweit das sinnliche Begehren, nachdem das einigende Band der Urgerechtigkeit gelöst ist, nicht der Vernunft mehr gehorcht; und das ist gleichermaßen bei allen der Fall.
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