Erster Artikel. Die Erbsünde hat ihren Sitz in der Seele vielmehr wie im Fleische.
a) Das Fleisch scheint der Träger der Erbsünde zu sein. Denn: I. Der Widerstreit des Fleisches gegen den Geist geht aus von der Verderbtheit der Erbsünde. Die Wurzel aber dieses Widerstreites ist im Fleische nach Röm. 5.: „Ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, welches widerstreitet dem Gesetze meiner Vernunft.“ II. Jegliches findet sich in höherem Grade innerhalb seiner Ursache wie in der Wirkung; wie die Wärme in höherem Grade im Feuer ist wie im gewärmten Wasser. Die Seele aber wird angesteckt vermittelst des fleischlichen Samens und erhält so die Erbsünde. Also ist letztere mehr im Fleische wie in der Seele. III. Wir erben diese Sünde, insofern wir gemäß der Kraft des Samens im ersten Stammvater waren; secundum seminalem rationem, wie Augustin sagt. So aber war die Seele nicht da, sondern allein das Fleisch. IV. Die geschaffene vernünftige Seele wird von Gott dem Körper eingeprägt. Würde also die Seele direkt durch die Erbsünde angesteckt, so wäre die Folge, daß sie entweder dadurch daß sie geschaffen oder daß sie dem Körper eingeprägt würde befleckt wäre; und so würde Gott der Urheber der Sünde sein. V. Kein kluger Mensch würde eine kostbare Flüssigkeit in ein schmutziges Gefäß gießen, wenn er wüßte, diese Flüssigkeit selber würde dadurch verdorben. Die vernünftige Seele aber ist kostbarer als alle Flüssigkeit. Wenn also die Seele vermittelst der Vereinigung mit dem Körper angesteckt würde mit der Verderbtheit der Erbschuld, so würde Gott, die Weisheit selber, niemals eine solch erhabene Seele einem solchen Körper einprägen. Er thut es aber. Also wird die Seele nicht befleckt vom Fleische aus; und so hat die Erbsünde ihren Sitz nicht in der Seele, sondern im Fleische. Auf der anderen Seite ist das Nämliche der Sitz der Tugend und der Sitz des Lasters oder der Sünde, dem Gegensatze zur Tugend. Das Fleisch aber kann nicht Träger oder Subjekt von Tugend sein: „Ich weiß,“ sagt der Apostel, „daß das Gute nicht in meinem Fleische wohnt.“ Also nur in der Seele kann die Erbsünde sich finden.
b) Ich antworte; es kann etwas in einem Anderen sein wie in der Ursache sei es der hauptsächlichen sei es der als Werkzeug dienenden Ursache; oder wie im Subjekte. In Adam nun war die Erbsünde wie in der ersten hauptsächlichen Ursache: „in welchem wir alle gesündigt haben.“ Im körperlichen Samen aber ist die Erbsünde wie in der als Werkzeug dienenden Ursache, da vermittelst der thätigen Kraft des Samens die Erbsünde übertragen wird zugleich mit der menschlichen Natur. Sitz oder Subjekt der Erbsünde aber kann nur die Seele sein und nie das Fleisch. Denn so wird die Erbsünde durch die bewegende Kraft der Zeugung von einem auf den anderen übertragen, wie vom Willen des Menschen sich die persönliche aktuelle Sünde ableitet zu den Gliedern und Organen des nämlichen Menschen. Hier nun kann beobachtet werden, daß, was auch immer bei der Sünde in irgend welchen Teil des Menschen, der unter dem bewegenden Einflüsse des vernünftigen Willens steht sei es als Werkzeug sei es als Träger oder Subjekt, von der Bewegung des Willens aus übertragen wird; daß dies den Charakter der Schuld trägt. So kommt vom Willen die Begierde nach Speise in die Begehrkraft, das Nehmen der Speise in die Hand und in den Mund; und dies Alles ist Werkzeug der Sünde, insoweit es vom sündigen Willen bewegt wird. Was dann aber weiter geht zur Nährkraft oder in die inneren Organe, die nicht ihre Bewegung vom Willen erhalten, das hat nicht den Charakter der Schuld. So nun also, da die Seele wohl Sitz der Schuld sein kann, das Fleisch aber an sich betrachtet nicht, hat, was auch immer von der Verderbtheit der ersten Sünde zur Seele gelangt, den Charakter der Schuld; was aber zum Fleische gelangt, hat nicht den Charakter der Schuld, sondern den der Strafe. Die Seele also allein ist Sitz der Erbsünde.
c) I. Nach Augustin (1 Retr. 26.) spricht der Apostel hier vom erlösten Menschen, welcher von der Schuld befreit ist, jedoch der Strafe unterliegt; und auf Grund dessen wird gesagt, die Sünde wohne im Fleische. II. Der Samen ist die als Werkzeug dienende Ursache; nur aber in der ersten, hauptsächlichen Ursache muß etwas stärker sein wie in der Wirkung. Und so war die Erbsünde stärker in Adam, wo sie zugleich persönliche aktuelle Sünde war. III. Der Samen, der von Adam sich ableitet, ist nicht die wirkende Ursache der vernünftigen Seele, sondern nur die vorbereitende, er disponiert den Stoff; und so war die Seele, secundum seminalem rationem, in der Samenkraft Adams. IV. Die Ansteckung der Erbsünde wird nimmermehr von Gott verursacht, sondern nur durch die erste Sünde vermittelst der fleischlichen Zeugung. Da also die Erschaffung nur die Beziehung der Seele zu Gott allein bedeutet, so kann nicht gesagt werden, die Seele werde infolge ihrer Erschaffung befleckt. Das Einprägen der Seele aber schließt ein die Beziehung zu Gott, der einprägt; und zum Fleische, dem eingeprägt wird. Und somit kann mit Beziehung auf Gott, der einprägt, nicht gesagt werden, die Seele werde durch das Einprägen befleckt; nur mit Beziehung, auf das Fleisch, dem eingeprägt wird, ist dies wahr. V. Das Gesamtbeste wird vorgezogen dem beschränkten Gute. Gott also gemäß seiner Weisheit vernachlässigt nicht die allgemeine Ordnung der Dinge, die darin besteht, daß einem solchen Körper eine solche Seele eingeprägt werde, um die besondere Ansteckung der einzelnen Seele zu vermeiden; zumal ja die menschliche Seele dies ihrer Natur nach an sich hat, daß sie nur im Körper anfange zu sein; vgl. I. Kap. 118, Art. 3. Besser aber ist es für sie gemäß ihrer Natur so zu sein, als gar nicht zu sein; kann sie doch mit Hilfe der Gnade die Verdammnis vermeiden.
