Zweiter Artikel. Die Erbsünde ist zuerst im Wesen der Seele und erst auf Grund dessen in den Vermögen.
a) Das Gegenteil scheint wahr. Denn: I. Die Seele ist geeignet, Sitz der Sünde zu sein, mit Rücksicht auf das, was vom Willen aus bewegt werden kann. Die Seele aber wird nicht in Bewegung gesetzt vom Willen mit Rücksicht auf ihr inneres Wesen, sondern gemäß ihren Vermögen. Also ist die Erbsünde nicht im Wesen der Seele, sondern in deren Vermögen. II. Die Erbsünde steht gegenüber der Urgerechtigkeit; die in einem Vermögen der Seele als ihrem Subjekte oder Träger war. Also ist auch die Erbsünde in einem Vermögen der Seele. III. Wie vom Fleische die Erbsünde zur Seele kommt, so vom Wesen der Seele zu deren Vermögen. Die Erbsünde ist aber mehr in der Seele, wie im Fleische. Also ist sie auch mehr in den Vermögen der Seele wie in deren Wesen. IV. Die Erbsünde wird als Begierlichkeit bezeichnet. Diese aber ist in den Vermögen der Seele. Auf der anderen Seite ist die Erbsünde die Sünde der Natur. Die Seele aber ist bestimmende Wesensform für die Natur des menschlichen Körpers gemäß ihrem Wesen; und nicht gemäß den Vermögen. Also.
b) Ich antworte; Jenes in der Seele ist an leitender Stelle Sitz einer Sünde, worauf zu allererst sich erstreckt die bewegende Ursache dieser Sünde; — wie, wenn die bewegende Ursache zum Sündigen ist das fleischliche Ergötzen, was wie deren eigentlichster Gegenstand, der Begehrkraft angehört, daraus folgt, daß die Begehrkraft das eigens entsprechende Subjekt oder der Sitz dieser Sünde sei. Offenbar nun wird die Erbsünde verursacht vermittelst des Ursprunges. Jenes also in der Seele, was zuerst vom Ursprünge des Menschen berührt oder erreicht wird, ist das erste Subjekt der Erbsünde. Der Ursprung aber erreicht als den Abschluß der Zeugung zuerst die Seele, insoweit sie ist die bestimmende Wesensform des Körpers; und das kommt ihr gemäß ihrem Wesen zu. (I. Kap. 76, Art. 1.) Also ist die Seele gemäß ihrem Wesen der Sitz oder das Subjekt der Erbsünde.
c) I. Die vom persönlichen Willen ausgehende bewegende Kraft erreicht recht eigentlich die Vermögen und nicht das Wesen der Seele. Und die vom Willen des ersten Zeugenden auf dem Wege der Zeugung ausgehende Kraft erreicht recht eigentlich in erster Linie das Wesen der Seele. II. Die Urgerechtigkeit war ebenfalls in erster Linie dem Wesen der Seele zugehörig; denn sie war von Gott her der menschlichen Natur als solcher gegeben. Die Vermögen gehören mehr zur Person, insoweit sie Principien sind für persönliche Thätigkeit. Also sind sie recht eigentlich der Sitz der persönlichen, aktuellen Sünden. III. Der Körper steht im Verhältnisse zur Seele, wie der Stoff zur Wesensform; letztere ist deshalb wohl später auf dem Wege des Entstehens, jedoch früher in der Absicht und somit früher in der Vollendung, die man ja immer beabsichtigt, und in der Ordnung der Natur. Das Wesen aber steht im Verhältnisse zu den Vermögen wie das Subjekt zu den hinzutretenden Eigenschaften, die natürlich immer später der Auffassung nach sind wie das Subjekt, dem sie anhaften sowohl auf dem Wege des Entstehens wie in der Absicht oder Vollendung. Also stimmt der Vergleich nicht. IV. Die Begierlichkeit ist wie das Bestimmbare, Materiale in der Erbsünde und folgt deshalb dem bestimmenden formalen Momente.
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