Vierter Artikel. Es giebt sieben Hauptlaster.
a) Die eitle Ruhmgier, der Neid, der Zorn, der Geiz, die Trägheit, die Unmäßigkeit oder Gaumenlust, die Unkeuschheit oder Völlerei scheinen keine Hauptlaster zu sein. Denn: I. Das Laster steht der Tugend gegenüber. Haupttugenden aber giebt es vier. II. Die Leidenschaften sind Ursachen der Sünde nach Kap. 77. Hauptleidenschaften aber giebt es vier, von denen zwei, die Furcht nämlich und Hoffnung, hier gar nicht erwähnt werden; dagegen gehört das Ergötzen zur Gaumenlust und zur Völlerei, die Trauer zum Neide und zur Trägheit. Also ist die Aufzählung unzulässig. III. Der Zorn ist keine Hauptleidenschaft; also auch keine Hauptsünde. IV. Der Geiz als Wurzel aller Laster wird hier aufgezählt; also hätte dies auch mit dem Stolze geschehen müssen. V. Es kann jemand irren aus Unkenntnis, oder stehlen um Almosen zu geben. Diese Sünden können aber von keinem dieser genannten abgeleitet werden. Auf der anderen Seite steht die Autorität Gregors I. c.
b) Ich antworte. Hauptlaster werden jene genannt, aus welchen andere entstehen, zumal nach dem Charakter der leitenden Zweckursache. Ein derartiger Ursprung kann nun 1) von seiten des Sünders selber her betrachtet werden, der solche Hinneigung zu einem Zwecke hat, daß er daraus zu anderen Sünden verleitet wird. Und dies kann nicht unter die Wissenschaft fallen als etwas zu Regelndes; denn endlos viele innere Verfassungen können im Menschen existieren und ihn zu einem Gute in leitender Stelle lenken. Es wird dann 2. ein solcher Ursprung erwogen gemäß dem natürlichen objektiven Zusammenhange der einzelnen Zwecke untereinander; und danach folgt in den meisten Fällen ein Laster aus dem anderen. Nun setzt etwas das Begehren in zweifacher Weise in Thätigkeit: 1) an und für sich, unmittelbar kraft seiner Natur; und so regt das Gute an, daß man danach trachte; das Böse, daß man vor demselben fliehe; — 2) mittelbar oder indirekt, wie wenn jemand nach etwas Üblem trachtet, um ein Gut zu erreichen, was damit verbunden ist; oder wenn er vor etwas Gutem flieht wegen des damit verbundenen Übels. Das Gute nun, was dem Menschen zukommt, ist ein dreifaches: 1) insoweit es der Seele entspricht; nämlich den Charakter des Begehrbaren hat nur infolge der Auffassung der Vernunft, wie dies mit der Auszeichnung und der Ehre der Fall ist; dieses Gut wird in ungeregelter Weise erstrebt durch die eitle Ruhmgier; — 2) insoweit das Gut dem Körper zugehört und zwar entweder der Erhaltung des Einzelwesens entspricht oder der Erhaltung der Gattung; und dies wird ungeregelterweise erstrebt durch die Unmäßigkeit im Essen und Trinken oder die Gaumenlust und durch die Unkeuschheit oder Völlerei; — insofern das Gute äußerlich ist, nämlich Reichtum; und der wird ungeregelt erstrebt durch den Geiz. Diese nämlichen vier Laster fliehen sodann das diesen Gütern entgegenstehende Übel. Oder noch anders. Das Gute regt in vorzüglicherer Weise an, je mehr es teil hat an den Eigenheiten der Glückseligkeit, welche alle kraft ihrer Natur erstreben. Zur Natur der Glückseligkeit nun gehört zuvörderst eine gewisse Vollendung; denn die Glückseligkeit ist ein vollkommenes Gut, dem da zugehört das Hervorragende oder der Ruhm, welchen begehrt die leere eitle Ruhmgier. Dann gehört zur Natur der Glückseligkeit das Genügen, und dies begehrt der Geiz vermittelst des Reichtums, der es ihm verspricht. Ferner gehört zur Glückseligkeit das Ergötzliche; und danach strebt die Gaumenlust und die Völlerei. Es flieht aber jemand ein Gut auf Grund des damit verbundenen Übels entweder mit Rücksicht auf das eigene Gute, weil er traurig ist über ein geistiges Gut wegen der damit verknüpften Mühe und Arbeit, und so ist es Trägheit; — oder mit Rücksicht auf das Gute eines Anderen, ohne daß damit eine Erregung der Rache verbunden wäre; und das ist der Neid, denn das Gute des anderen verursacht Trauer, weil es die eigene hervorragende Stellung hindert; — oder es ist damit eine Regung nach Rache Verbunden; und das ist der Zorn. Sache der nämlichen Laster ist es, das entgegengesetzte Übel zu erstreben.
c) I. Die Tugenden werden verursacht durch die Gleichförmigkeit des Begehrens mit der Vernunft oder mit Gott, dem unveränderlichen Gute; — die Laster aber durch das Begehren nach einem veränderlichen Gute. Also ist der beiderseitige Ursprung nicht der gleiche und somit sind auch nicht die hauptsächlichen Tugenden entgegengesetzt den Hauptlastern. II. Furcht und Hoffnung sind in der Abwehrkraft. Alle Leidenschaften in der Abwehrkraft entspringen aber denen in der Begehrkraft; und diese wieder lassen sich zurückführen auf das Ergötzen und die Trauer. Danach also werden hauptsächlich zwei Haupt- oder Todsünden aufgezählt, welche diesen Hauptleidenschaften entsprechen. III. Der Zorn hat als begehrende Thätigkeit einen speciellen Charakter, insoweit jemand das Gute eines anderen bekämpft unter dem Gesichtspunkte des Ehrbaren, d. h. um gemäß der Gerechtigkeit Vergeltung zu üben — und deshalb nimmt er einen Platz ein unter den Hauptlastern. IV. Der Stolz ist „der Anfang aller Sünde“ gemäß der Zweckursache und gemäß der nämlichen Ursache nimmt man den Vorrang rücksichtlich der Hauptlaster. Danach also hat der Stolz als allgemeines Laster nicht eine Stelle unter den anderen, sondern wird als die „Königin aller Laster“ betrachtet nach Gregor (31. moral. 17.). Der Geiz aber wird unter einem anderen Gesichtspunkte die „Wurzel“ aller Sünden genannt. V. Gewöhnlich und zum größten Teile entspringen diesen Hauptlastern die übrigen; es können jedoch Sünden auch aus anderen Ursachen her entspringen. Zudem können alle aus der Unkenntnis kommenden Sünden auf die geistige Trägheit zurückgeführt werden, wozu die Nachlässigkeit gehört im Erwerbe der geistigen Güter auf Grund der Arbeit. (Kap. 76, Art. 1 u. 2.)
