Dritter Artikel. Außer dem Stolze und der Geldgier giebt es noch andere besondere Hauptsünden.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Wie sich das Haupt zum sinnbegabten Wesen verhält, so die Wurzel zur Pflanze; sind doch die Wurzeln (2. de anima) dem Munde ähnlich. Also darf nur die Geldgier, die Wurzel aller Sünden, als Hauptsünde bezeichnet werden. II. Das Haupt steht in einem geordneten Verhältnisse zu den übrigen Gliedern; denn vom Haupte gehen gewissermaßen alle sinnlichen Thätigkeiten aus und verbreiten sich dann auf die Glieder. Die Sünde aber ist wesentlich Mangel an Ordnung. Also darf keine Sünde als Hauptsünde bezeichnet werden. III. Hauptverbrechen sind jene, die mit Abschlagen des Hauptes gestraft werden. Mit einer solchen Strafe aber werden bestraft Sünden in jeder besonderen Gattung von Sünden. Also giebt es keine der Gattung nach bestimmten besonderen Hauptsünden. Auf der anderen Seite zählt Gregor (31. moral. 17.) sieben Hauptsünden auf.
b) Ich antworte, „hauptsächlich“ werde etwas genannt vom Haupte her. Das Haupt aber ist bei den sinnbegabten.Wesen das an erster Stelle leitende Glied; und so wird auch „Haupt“ genannt die leitende Kraft in einer gesellschaftlichen Ordnung. Wird nun das „Haupt“ in wörtlicher Bedeutung genommen, so heißen Hauptverbrechcn jene, welche durch das Abschlagen des Hauptes gesühnt werden. In diesem Sinne, wo die Strafe in Betracht kommt, sprechen wir nicht hier von Hauptsünden. . , Vielmehr wird in dem hier in Betracht kommenden Sinne Hauptsünde genannt jene Sünde, welche gleichsam die Leitung hat für die übrigen, aus welcher also die anderen Laster ihre Entstehung nehmen; und zwar zumal gemäß dem Vorrange der Zweckursache, welche im Moralischen der formale Vorrang, der Ursprung des Wesens ist (Kap. 18, Art. 6 und 72, 6.) Danach ist ein Hauptlaster nicht nur Princip für andere, sondern es kommt ihm auch die leitende Kraft zu; es ist gleichsam der Anführer der übrigen. Denn jene Kunst oder jener Zustand, von wo aus der Zweck berücksichtigt wird, ist immer im Verhältnisse zu dem, was nur auf die Mittel zum Zwecke sich richtet, an der leitenden befehlenden Stelle. Deshalb vergleicht Gregor diese Laster den Führern eines Heeres.
c) I. Hauptsünden heißen diese Sünden; nicht als ob sie schlechthin anstatt eines Hauptes wären, sondern weil sie an einer Eigenheit des Hauptes Anteil haben. Nicht also bloß der Geiz oder der Stolz werden Hauptsünden genannt, insofern sie der erste Anfang, die erste Wurzel für die Sünden bilden; sondern auch jene Sünden heißen so, welche den Charakter eines näheren, unmittelbareren Ursprunges für mehrere Sünden tragen. II. Infolge der Abwendung vom letzten Endzwecke entbehrt die Sünde aller Ordnung; ist sie doch danach (Aug. de natura boni 4.) der Mangel an Ordnung, Schönheit und Maßhalten. Von seiten der Zuwendung aber richtet sich die Sünde auf ein Gut; und danach beobachtet sie eine gewisse Ordnung. III. Von der Strafe der Sünde reden wir hier nicht.
