Zweiter Artikel. Das Verhältnis der Sinne.
a) In den Sinnen scheint nichts Falsches zu sein. Denn: I. Augustin schreibt (de vera Relig. c. 33.): „Da nun alle Sinne gerade in der nämlichen Weise melden, in welcher sie von außen her beeinflußt werden, so weiß ich nicht, was wir noch weiteres von denselben verlangen sollen.“ Also scheint es, daß wir durch die Sinne keineswegs in Irrtum geführt werden und daß somit in ihnen nichts Falsches sich findet. II. Aristoteles sagt desgleichen (4 Metaph.): „Das Falsche sei nicht dem Sinne eigen, sondern vielmehr der Einbildungskraft.“ III. In der einfachen Auffassung ist weder Falsches noch Wahres, sondern nur im Zusammengesetzten, wo Prädikat mit Subjekt verbunden wird. Den Sinnen aber ist es nicht eigen, zu verbinden oder zu trennen. Als0 besteht in denselben nichts Falsches. Auf der anderen Seite sagt Augustin (2. Solil. q. 6.): „Es ist wohl offenbar, daß wir, in allen Sinnen durch hinreißende Ähnlichkait getäuscht werden.“
b) Ich antworte, man muß das Falsche in den Sinnen nicht in anderer Weise suchen, als in der nämlichen, wie daselbst die Wahrheit ist. Die Wahrheit aber ist in den Sinnen nicht so, als ob der Sinn die Wahrheit erkannte; sondern insofern er eine wahre Auffassung über das sinnlich Wahrnehmbare in sich besitzt. Und dies ist deshalb der Fall, weil der Sinn die Dinge auffaßt, wie sie sind. Somit wird Falsches im Sinne sich vorfinden, je nachdem derselbe die Dinge auffaßt oder beurteilt anders wie sie sind. Wie dies geschehen kann, muß untersucht werden. Der Sinn verhält sich im Erkennen der Dinge ebenso, wie eine Ähnlichkeit der Dinge in ihm sich vorfindet. Eine solche Ähnlichkeit von irgend welchem Dinge ist nun im Sinne in dreifacher Weise: Einmal von vornherein und ohne Bedingung, per se und primo, wie im Auge z. B. die Ähnlichkeit der Farben ist und so verhältnismäßig in den anderen Sinnen. Das ist das ssensibile primum. Dann: ohne Voraussetzung und Bedingung per se, aber nicht vor allem und von vornherein, pnimo; wie im Auge z. B. die Ähnlichkeit der Figur oder Größe ist, jedoch nur auf Grund der Farbe, die ohne diese Begleitung der sensibilia communia sich nicht vorstellt. Schließlich weder von vornherein, primo, noch ohne Bedingung und Voraussetzung, per se, wie im Auge z. B. die Ähnlichkeit des Menschen ist, insofern nämliich es zufallig diesen Gefärbten eignet, Mensch zu sein. Mit Rücksicht nun auf den jedem Sinne seiner Natur nach eigentümlichen Gegenstand, das sesibile proprium, wie also die Farhe es für das Auge, der Schall für das Ohr ist, hat der Sinn nichts Falsches, außer etwa zufällig der üblen Lage des betreffenden Organs zufolge, wegen deren der Sinn die Wirksamkeit des Gegenstandes nicht genügend in sich aufnehmen kann; wie z. B. der Künstler nur unvollkommen seine Form einprägt, wenn das Holz, der Marmor, das Material im allgemeinen schlecht ist. So scheint dem Kranken das Süße bitter zu sein, weil ihre Zunge nicht gut disponiert ist. Soweit es aber die beiden anderen Seiten der im Sinne befindlichen Ähnlichkeit, also die sensibilia commnnia und das ganz Zufällige anbelangt, so kann da, selbst wenn das materielle Organ nichts zu wünschen übrig läßt, etwas Falsches sich einschleichen; denn der Sinn hat keine direkte und unmittelbare Beziehung darauf, sondern nur auf Grund von Beziehungen, die er zu anderen Fähigkeiten hat, richtet er sich auf dieses. l. Daß der Sinn beeinflußt wird, ist eben nichts anderes wie sein thatsächliches Wahrnehmen. Weil also der Sinn so meldet, wie er von außen beeinflußt wird; deshalb irren wir nicht im Urteilen, daß wir sinnlich wahrnehmen. Weil aber der Sinn manchmal anders beeinflußt wird, wie die Sache thatsächlich ist, so folgt, daß er uns anders meldet, wie die Sache thatsächlich ist. Und so täuschen wir uns nicht über das Wahrnehmen selbst, wohl aber öfter über die zu Grunde liegende Sachlage. II. „Falsch“ ist der Sinn darum nicht, weil er rücksichtlich des ihm eigentümlichen Gegenstandes, wie der Farbe für das Auge, nicht getäuscht wird. Der Embildungskraft aber wird das „Falsche“ zugeschrieben, weil sie die Ähnlichkeit auch eines entfernteren Dinges vorstellt. Wenn deshalb jemand sich auf die Ähnlichkeit eines Dinges so richtet, als ob diese das Ding selber wäre, so kommt da etwas Falsches heraus. Aus diesem Grunde sagt Aristoteles (5 Metaph.), „die Schattenbilder in den Träumen seien falsch, insofern die Dinge nicht gegenwärtig sind, deren Ähnlichkeit sie tragen.“, III. Der Sinn hat nicht in dem Sinne Falsches in sich, als ob er das Falsche und Wahre erkannte.
