Vierter Artikel. Die Veröffentlichung gehört zum Wesen des Gesetzes.
a,) Dagegen spricht: I. Das Naturgesetz hat am meisten den Charakter des Gesetzes; bedarf aber keiner Veröffentlichung. II. Das Gesetz verpflichtet zu etwas. Aber nicht nur jene werden durch dasselbe verpflichtet, vor denen das Gesetz veröffentlicht wird; sondern auch andere. III. Die Verpflichtung des Gesetzes erstreckt sich auch auf die Zukunft; es wird aber nur für die Mitlebenden veröffentlicht. „Die Gesetze legen Notwendigkeit den zukünftigen Angelegenheiten auf,“ heißt es lib. I. cod. tit. de leg. et consttit. Auf der anderen Seite wird gesagt in den decretis 4. dist. (c. in istis): „Die Gesetze werden aufgestellt, wann sie veröffentlicht werden.“
b) Ich antworte, das Gesetz werde aufgelegt in der Weise einer Regel oder eines Maßstabes. Dadurch aber wird die Regel oder der Maßstab aufgelegt, wenn die Anwendung stattfindet auf das, was geregelt oder gemessen wird. Dann also fängt das Gesetz zu verpflichten an, wenn es auf die Menschen angewandt wird, die danach sich regeln sollen. Eine solche Anwendung aber geschieht dadurch, daß das Gesetz zu ihrer Kenntnis kommt vermittelst der Veröffentlichung. Daß also das Gesetz seine Kraft entfalte, dazu gehört seine Veröffentlichung. Und so kann aus vier Momenten die Begriffsbestimmung des Gesetzes zusammengestellt werden: „Das Gesetz ist eine Richtschnur, welche von der Vernunft ausgeht, das Gemeinbeste zum Zwecke hat und von dem, der das Gemeinwesen vertritt, veröffentlicht ist.“
c) I. Das Naturgesetz ist damit selber veröffentlicht, daß Gott es der Vernunft jedes Menschen als kraft der Natur zu erkennen eingeprägt hat. II. Zur Kenntnis jener, die bei der Veröffentlichung eines Gesetzes nicht gegenwärtig sind, muß es vermittelst anderer gelangen oder gelangen können. III. Das Gesetz verpflichtet für die Zukunft; und deshalb wird es aufgeschrieben, wodurch es gleichsam für immer veröffentlicht ist. Danach heißt es auch „Vorschrift“ vom Schreiben. (Vgl. Isidor. 5., Etym. 3., lex von legere.)
