Zweiter Artikel. Das Alte Gesetz war von Gott.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. „Gottes Werke sind vollkommen.“ Deut. 32. Das „Gesetz“ aber ist unvollkommen. II. Ekkli. 3. heißt es: „Ich habe gelernt, daß alle Werke, die Gott gethan, in Ewigkeit verbleiben.“ Das „Gesetz“ aber bleibt nicht in Ewigkeit, nach Hebr. 7.: „Verworfen wird das vorhergehende Gesetz wegen dessen Schwäche und Nutzlosigkeit.“ Also war das Alte Gesetz nicht von Gott. III. Ein weiser Gesetzgeber soll nicht nur die Übel entfernen, sondern auch die Gelegenheiten der Übel. Das Alte Gesetz aber war Gelegenheit zur Sünde. Also durfte es nicht von Gott kommen; „dem niemand ähnlich ist unter den Gesetzgebern.“ Job 36. IV. 1. Tim. 2. heißt es: „Gott will, daß alle Menschen selig werden.“ Dazu genügte aber nicht das Alte. Gesetz. Auf der anderen Seite sagt der Herr (Matth. 15.): „Eitel gemacht habt ihr das Gebot Gottes wegen euerer Überlieferungen;“ und kurz vorher: „Ehre deinen Vater und deine Mutter,“ was offenbar im Alten Gesetze sich findet.
b) Ich antworte, das Alte Gesetz sei vom guten Gotte gegeben, der da ist der Vater unseres Herrn Jesu Christi. Denn in doppelter Weise lenkte das Alte Gesetz zu Christo hin: einmal, indem es für den Herrn Zeugnis ablegte, wonach dieser selbst sagt: „Es muß Alles erfüllt werden, was in den Psalmen und in den Propheten über mich geweissagt ist;“ und Joh. 5.: „Wenn ihr dem Moses glaubtet, so würdet ihr vielleicht auch mir glauben; denn über mich hat jener gepredigt;“ — dann, indem es die Menschen vom Götzendienste abzog zur Verehrung des einen einigen Gottes, von dem das Menschengeschlecht gerettet werden sollte durch Christum. Deshalb sagt Paulus Gal. 3.: „Bevor der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetze behütet mit Beziehung auf jenen Glauben, der da kommen sollte.“ Ein und desselben Sache aber ist es, für den gewollten Zweck von weit her vorzubereiten und zum Zwecke selber hinzugeleiten, entweder durch sich selbst, oder durch seine Untergebenen. Denn der Teufel hätte kein Gesetz gegeben, wodurch die Menschen zu Christo geführt werden; zu jenem nämlich, der ihn austreiben sollte, nach Matth. 26.: „Wenn der Teufel den Teufel austreibt, so ist sein Reich geteilt.“ Vom selben Gotte also, von dem das Heil der Menschen bewirkt worden ist durch Christum, stammt das Alte Gesetz.
c) I. Es kann etwas schlechthin unvollkommen und doch für die gegebenen Zeitumstände vollkommen sein. So ist ein Kind vollkommen; nicht schlechthin, sondern als Kind; und auch dementsprechend sind die Gebote, welche Kindern gegeben werden, vollkommen für Kinder. Deshalb sagt mit Bezug auf das „Gesetz“ Paulus, „es war unser Erzieher zu Christo hin.“ II. Jene Werke Gottes bleiben in Ewigkeit, die Gott zu diesem Zwecke gemacht hat, daß sie ewige Dauer haben; und das sind jene, die schlechthin vollkommen sind. Das Alte Gesetz aber wurde zur Zert der Gnade verworfen; nicht als schlecht, sondern als ohnmächtig und unnütz, „denn nichts hat es zur Vollendung geführt.“ Und Gal. 3.: „Da aber der Glaube gekommen, sind wir nicht mehr unter dem Erzieher.“ III. Gott erlaubt manchmal, daß jemand sündigt, damit derselbe gedemütigt werde. So wollte Er auch ein Gesetz geben, welches die Menschen aus eigenen Kräften nicht erfüllen könnten; damit sie so, wenn sie sich als Sünder erkennen, demütig zum Beistande der Gnade ihre Zuflucht nehmen. IV. Obgleich das „Gesetz“ selber an sich die Menschen nicht retten konnte, so war doch mit ihm zugleich ein anderer Beistand den Menschen gegeben, wodurch sie gerettet werden konnten; nämlich der Glaube an den künftigen Mittler, durch den die Allväter gerettet worden sind, gleich wie wir auch dadurch gerechtfertigt werden. Und so gab Gott zu allen Zeiten hinreichenden Beistand den Menschen.
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