Zehnter Artikel. Der Mensch im Stande der Gnade bedarf einer weiteren Gnade, um im Guten zu beharren.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Das Beharren ist etwas Minderes als die Tugend wie auch die Enthaltsamkeit, nach 7 Ethic. 7. Der Mensch aber, gerechtfertigt durch die Gnade, bedarf keiner weiteren Gnade, um die Tugend zu haben. Also weit weniger, um die Beharrlichkeit im Guten zu besitzen. II. Alle Tugenden werden zugleich eingegossen. Die Beharrlichkeit aber wird als Tugend betrachtet. III. Nach Röm. 5. ist dem Menschen durch das Geschenk Christi zurückerstattet worden, was er verloren hatte. Adam aber besaß, kraft dessen er beharren konnte. Also haben wir dies durch Christum auch. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de dono persev. 2.): „Warum also flehen wir um die Gabe der Beharrlichkeit, wenn dieselbe nicht gegeben wird? Oder ist dies nicht ein inhaltsloses Flehen, wenn Jenes erfleht wird, von dem man weiß, nicht Gott gebe es, sondern es sei in des Menschen Gewalt?“ Um die Beharrlichkeit aber bitten auch jene, welche durch die Gnade geheiligt sind, was unter dieser Bitte als eingeschlossen verstanden wird: „Geheiligt werde Dein Name.“ Augustin führt zudem als Beleg den heiligen Cyprian an.
b) Ich antworte: 1. werde die Beharrlichkeit betrachtet als jenes dem Zustande des Geistes Eigentümliche, daß vermittelst desselben der Mensch fest ist im Wirken und durch einbrechende Befürchtungen oder Traurigkeiten sich von der Tugendübung nicht abbringen läßt. Und da verhält sich nun die Beharrlichkeit zu den Traurigkeiten wie die Enthaltsamkeit zu den Begierlichkeiten und Ergötzungen, wie es 7 Ethic. 7. heißt; denn solche Beharrlichkeit und Enthaltsamkeit zeigen, daß noch nicht die ihrer Natur nach festigende entsprechende Tugend Besitz genommen hat von der Seele; und somit ist da „etwas Minderes“ wie die Tugend. Es wird 2. Beharrlichkeit der Vorsatz genannt, im Guten zu beharren bis zum Ende. Nach diesen beiden Seiten oder Auffassungen hin wird die Beharrlichkeit und die Enthaltsamkeit zugleich mit der Gnade und den übrigen Tugenden gegeben. Beharrlichkeit wird 3. genannt ein thatsächliches Fortdauern des Guten bis ans Ende. Und dazu bedarf der Mensch zwar nicht eines weiteren Gnadenzustandes, wenn er einmal im Stande der Gnade ist; aber er bedarf des Gnadenbeistandes, der leitet und den Anstoß giebt und schützt gegen die Antriebe der Versuchungen, wie Art. 1 gezeigt worden. Also muß der Mensch, auch der gerechtfertigte, von Gott die Gabe der Beharrlichkeit erstehen, daß er nämlich von Ihm vor allem Übel beschützt werde bis ans Ende. Denn vielen wird die Gnade verliehen, nicht aber das Beharren in der Gnade.
c) I. geht von der ersten Auffassung der Beharrlichkeit aus, wie II. von der zweiten. III. Augustin erklärt (de natura et grat. 43.; corr. et grat. 12.): „Der Mensch hat im Stande der Unversehrtheit die Gabe erhalten, vermittelst deren er verharren konnte; nicht aber die, daß er thatsächlich verharrte.“ Jetzt aber erhalten es viele, daß sie verharren können und daß sie auch thatsächlich verharren. Also das durch Christum gebrachte Geschenk ist größer wie die Sünde Adams. Trotzdem aber konnte im Stande der Unversehrtheit der Mensch leichter im Stande der Gnade verharren. Denn es bestand da keine Unbotmäßigkeit des Fleisches gegenüber dem Geiste; Jetzt aber ist die Wiederherstellung durch die Gnade Christi wohl im vernünftigen Geiste begonnen, aber nicht bis zum Fleische hin vollendet. Dies Letztere wird in der Heimat da oben statthaben, wo der Mensch nicht nur wird beharren können, sondern auch nicht sündigen.
